„Ich habe Angst, aber ich gerate nicht in Panik“
Ein „transkulturelles Thema“ anläßlich der Morde in Norwegen: Die Handlungsfähigkeit von Menschen im Angesicht des Todes und die mediale Berichterstattung dazu. Das SMS aus dem Titel stammt von einem Mädchen vor Ort direkt während der Verfolgungen. Es gilt den emotionalen Widerstand der migrantischen und norwegischen Jugendlichen zu würdigen.
Frei nach der amerikanischen Schriftstellerin, Regisseurin und Fotografin Susan Sontag und ihrem Buch „Das Leiden anderer betrachten“ sollte Kriegs- und Gewalt-Berichterstattung die Leser mit einem Gefühl zurücklassen, dass es möglich ist, Veränderungen am Zustand der Welt zu initiieren und sie nicht in Hilflosigkeit und Ohnmacht versetzen. Die Kriegs-Berichterstatterin bewegte sich selbst immer an der Grenze des inneren Zulassens des beobachteten Grauens und einer weiter fort bestehenden Handlungsfähigkeit entlang. Susan Sontag traf ihre Foto-Auswahl für die großen US-Medien ganz bewußt nach diesem Kriterium.
Gefährlich erscheinen mir nun in Bezug auf diesen Aspekt die beiden im Standard Anfang August publizierten Kommentare: Richard Schuberth kritisiert in einer Polemik lustvoll „die Medien“, die sogar schlimmer seien als „Nazi-Organisationen“, was Medien dämonisiert und Neonazis verharmlost, Medien aber natürlich schmeichelt – als ob die Medien die wahren Handlungsträger politischer Macht und Ohnmacht seien. Zeitungen würden gerne für die Public Relations des Mörders arbeiten. Hier geht es Schuberth aber nicht um eine von einzelnen Journalisten verbreitete „Erotik der Dominanz“, indem zum Beispiel direkt neben Artikeln zu ermordeten Frauen Fotos nackter Fotomodelle abgedruckt werden (siehe Krone am gleichen Tag), sondern er beschwört ein „Medienmassaker“, „eine Pop-Ikone des Bösen“, „einen heiß gewordenen Gewehrlauf jenes generellen rechtspopulistischen Irrsinns“ und Jugendliche als „tickende Bomben“. „Ein Versagen auf allen Linien“ herrsche vor. Fazit: Der Rechtspopulismus scheint bereits gesiegt zu haben. Die toten Jugendlichen aus verschiedenen Ländern geraten aus dem Fokus.
Handlungsfähigkeit statt „Sich-Tot-Stellen“
Der Schweizer Kriegsberichterstatter Eugen Sorg hingegen scheint Anleihen bei dem alten Buch „Die Lust am Töten“ der beiden US-Wissenschaftlerinnen Cameron und Frazer (Orlanda Verlag 1990) genommen zu haben, die sexualisierte Frauenmorde analysierten und adaptiert deren Modell der „Erotik der Dominanz“ auf eine reduzierende Lust am Bösen, aber ohne deren theoretischen Hintergrund, vielfältige Reflexionen und wissenschaftliche Forschungen. In seiner Dämonisierung eines allgegenwärtigen „Bösen“ ruft er daher genau Assoziationen einer übermächtigen, verschlingenden „reinen Freude am Töten“ herauf und erzeugt Hilflosigkeit und Ohnmacht mit seinen unausweichlich scheinenden Argumenten (Religion! Philosophie! Geschichte!) – eine Überflutung mit Angstgefühlen ist möglich.
Besonders perfide wird es, wenn Sorg Immigrantenkinder als Beispiel für Gewalttäter heran zieht – genau solche Kids, wie sie der Mörder in Norwegen erschossen hat. Eugen Sorg setzt der „geilen Zeit“ gewalttätiger Menschen inhaltlich nichts entgegen, er folgt einem biologistischen Modell eines „aggressiven Rausches“. Noch dazu diskreditiert er ganz allgemein die Methode des „Therapeutismus“. Sein gefährliches und erzkonservatives Fazit: „Das Böse begleitet die Menschheitsgeschichte. Es ist nicht heilbar, nicht umerziehbar, nicht wegfinanzierbar.“
Übermächtig, aber nicht allmächtig
Was würde es bedeuten, angesichts eines Menschen, der 76 Jugendliche einzeln verfolgt und erschießt, als Beobachterin vor dem Fernsehgerät innerlich handlungsfähig zu bleiben? Oder gar selber in einer Situation, in der man von einem Unbekannten in Polizeiuniform mit dem Tode bedroht wird, mögliche Formen des Widerstandes zu finden? Sich selbst zu ermächtigen dieser über- aber nicht allmächtigen Macht nicht nachgeben zu müssen?
Es ist sehr wichtig, dass nun die verschiedenen Handlungen der Jugendlichen (Zuflucht per SMS, davonschwimmen und flüchten, anderen sogar in dieser Situation helfen!), aber auch die Taten rettender Erwachsener ans mediale Licht kommen, die mit ihren Booten aufbrachen, um die Flüchtenden aus dem kalten Wasser zu fischen. Auf diese Handlungsmöglichkeit selbst unter direkter Todesbedrohung sollte fokussiert werden und nicht mit dem „unendlichen und unerklärlichen Grauen“ des Bösen argumentiert und so einer Dissoziation, einem „Sich-tot-Stellen“ bei Gefahr das emotionale und pathetische Wort geredet werden.
Ähnlich wie es zum Beispiel die Journalistin Ingrid Strobl in ihren Büchern machte und jüdische Widerstandsformen untersuchte und beschrieb, um den bis heute nachwirkenden Mythos eines lähmenden „Wie die Lämmer zur Schlachtbank“ zu entkräften.
Eine Kurzfassung dieses Textes erschien im „DER STANDARD“ Print vom 5. August 2011 unter dem Titel „Mediales Licht auf die Kräfte des Widerstandes. Warum das Böse nicht zur Ohnmacht führen soll“