Endlich olympisch fliegen
Skispringerinnen dürfen hüpfen: Ein Gerichtsurteil in Kanada hat das Ende der Diskriminierung von Skispringerinnen beschleunigt. Das Olympische Komitee sträubte sich zwar noch kurzzeitig, aber 2014 in Russland werden Damen von der Schanze fliegen. Die Warterei hat lange genug gedauert – ganze drei Generationen durften nicht olympisch springen.
Von Kerstin Kellermann und Sefer Ülger
Zum Thema Skispringen von Frauen gibt es unterschiedliche Einstellungen, inzwischen sind es schon 130 Skispringerinnen aus 16 Nationen, die beim internationalen Skiverband FIS gemeldet sind – nur dass langjährige Diskriminierung vorherrscht, ist allen Beteiligten klar. „Das liegt daran, dass Frauen weiter fliegen können als Männer“, lacht William Rush, in Wien lebender Onkel der US-amerikanischen Skispringerin Jessica Jerome, die bei der Nordischen WM 2010 in Oslo den vierten Platz belegte. „Daniela Iraschko hat als junge unbekannte Vorspringerin am Kulm in Oberösterreich mit 212 Metern viele Männer in den Schatten gestellt. Nur vier Springer haben bessere Resultate als sie erzielt.“ Dieser frauenfreundlichen Einstellung widerspricht die Österreicherin Daniela Iraschko, amtierende Weltmeisterin und Weltcupsiegerin, im Telefoninterview: „Also, dass Frauen weiterspringen, dem kann ich nicht zustimmen. Was schon stimmt ist, dass wir gleich weit springen, aber halt mit mehr Anlauf.“
Wieso durften Frauen dann aber jahrelang nicht an Olympischen Spielen teilnehmen, obwohl es der sehnlichste Herzenswunsch einiger junger Damen ist? Ein offizielles Argument des Internationalen Olympischen Komitees, das insgesamt dreimal „Nein“ sagte, war, dass es zu wenig internationale Konkurrenz und zu wenig Vereine und Jugendmannschaften gäbe. Mittlerweile verfügen jedoch neben den traditionellen Springerländern wie Norwegen und Österreich auch Japan und Italien über starke Springerinnenteams und Nachwuchsstrukturen. Zu Beginn sollen auch ganz klar diskriminierende Argumente ins Treffen geführt worden sein: Etwa, dass die Eierstöcke der Mädchen beim Landen beschädigt werden würden – eine biologisch völlig obskure Annahme. „Ich habe meiner Schwester gesagt, dass Jessica nicht zur Olympiade 2010 in Vancouver darf, weil die Hauptfrage die Sponsoren sind und dies eine Macho-Welt ist“, lacht William Rush. „Ich glaube, es geht immer ums Geld. Männer haben vielleicht mehr Kraft, aber die Frauen die Technik. Und Frauen können Multitasking: Fluggefühl! Gleitfähigkeit! Absprung! – alles gleichzeitig.“
So ähnlich sieht es auch Daniela Iraschko: „Das Internationale Olympische Komitee ist nun einmal ein männliches Gremium, und Geld ist eben in unserer Disziplin wichtig.“ Aber die Weltmeisterin hat eine eigene Theorie dazu: „Das IOC hat meiner Meinung nach bei Olympia in Salt Lake City Angst bekommen. Unter den Bobfahrerinnen, die damals zum ersten Mal an Olympia teilgenommen haben, ist es zu Unfällen gekommen.“ Iraschko selbst muss trotz ihrer Erfolge um ihren Lebensunterhalt bangen, auch wenn sie im Vergleich zu anderen Skispringerinnen einen eigenen Sponsor hat. „Zum Überleben reicht es nicht“, fügt sie hinzu. „Für Damen gibt es wenig Wettbewerbe und nicht besonders viel Preisgeld.“ Im Moment macht Daniela Iraschko die Ausbildung zur Polizistin, im Sommer muss sie immer arbeiten, um ein wenig Geld für die Wintersaison auf die Seite zu legen. Der Österreichische Skiverband sei aber von Anfang an auf ihrer Seite gewesen und habe sie unterstützt – auch bezüglich der Aufnahme von Frauenskispringen ins olympische Programm. Für den ÖSV sei das auch von großem Interesse, da Österreich – untertrieben ausgedrückt – sehr gute Medaillenchancen hat.
„Ich glaube nicht, dass Audi die wilde Daniela unter Sponsorenvertrag nehmen wird“, schmunzelt William Rush. „Eher noch Red Bull. Ohne Sponsor ist es fast nicht zu schaffen, selbst wenn die Eltern die Kleidung nähen oder kreative Lösungen für teure Reisen gefunden werden. In Salt Lake City, wo meine Nichte zuhause ist, leben viele Piloten, deren Töchter ski springen, die können zumindest billig fliegen. Die älteren Springerinnen sind aber schon des ständigen Kampfes müde und verbittert, weil sie sich so viele Jahre bemüht haben und der Höhepunkt ihrer Leistung schon bald vorbei ist.“ Der Mutter einer kanadischen Springerin reichten die Schikanen: Sie rief ein Gericht in Vancouver an und durch den öffentlichen Public-Relations-Schub mit der positiven Entscheidung (die Richterin urteilte, dass eine Diskriminierung statt fände, aber dass sie dem IOC nichts vorschreiben könne) gelang es endlich das Olympische Komitee in Fahrt zu bringen, weibliches Skispringen ins Programm zu übernehmen. 2014 in Russland werden sich „die Mädels“ in die Lüfte erheben!
Daniela Iraschko blickt den nächsten Olympischen Spielen mit Vorfreude entgegen: „Ich hoffe natürlich auf eine Teilnahme, die Planung geht schon dahin“. Sie sieht eine große Chance für Österreich – und allgemein für die Damen. „Ich denke Frauenskispringen wird auch viele Männer anziehen, weil wir so weit wie Männer fliegen können. Es kann ein größeres Interesse für Skispringen im Allgemeinen bewirken.“ William Rush schlägt vor, dass Männer und Frauen gemeinsame Teamkonkurrenzen bestreiten. „Das fände ich spannend! Und hoffentlich fliegen die Mädels nicht weiter als die Männer, denn sonst springen die Sponsoren ab.“ Er hält auf jeden Fall die „fingers crossed“ für seine Nichte Jessica Jerome.
Erstveröffentlichung in M-Media vom 4. 10. 2011 unter dem Titel „Ende der Diskriminierung: Frauen zur Ski-Olympiade zugelassen“