postheadericon Ägidigasse: Der Angriff der Angst

Der Angriff der Angst
Läßt die Köpfe rollen
Noch ehe die Hand
Den Prügel umfaßt
Zum Schlag sich erhoben

Später, als wir alle eng aufeinander wartend beim Treffpunkt sassen, spürte jeder die ersten Fluchttendenzen in sich. Es herrschte gedrückte Stimmung. Der laut dröhnende Fernseher lief an uns vorbei, denn nicht für uns gestaltete sich seine Aufklärungsarbeit und alle wußten von der Sperre. Als ich R. statt in Boots und Lederjacke mit gelbem Sweatshirt und bloßen Füssen auf der Straße traf, wußte ich um den Grad der Auflösung der Bewegung. Verwirrt
hatte er schleunigst den Rückzug in sein bierbebauchtes Kleinschmarotzertum angetreten. Niemand wollte anschließend die Details noch hören, es waren zu viele, zu viele Freunde, zu viele Bekannte. Wir saßen nur ruhig herum und warteten immer noch auf irgendetwas. Die Hippies mit ihrer geschwätzigen Freundlichkeit schienen noch am ehesten klar zu kommen mit der Situation. Wir restlichen Helden der Landstraße mit Kettengeklirr und Imponiergehabe steckten unbehaglich im Sumpf und auf den Sesseln. Brutal fein, diese Nächstenliebe, wir könnten das nicht. Doch vielleicht brüllen wir einmal von der Bühne für euch, dass die Verstärker krachen und wackeln mit dem Iro dazu. Es wurde dunkler und dunkler. Dabei gab es inzwischen nichts mehr zu essen, kein Bier mehr zu kaufen und einzelne sassen lieber vor der Haustüre auf der Straße und unterhielten sich. Wir fuhren noch in der Nacht nach S. zurück.

Kettenglied Nr. 1
Wenn sie dann von Liebe reden
wird mir speiübel
In einer Welt voller Hass
ist das wie ein Kotzkübel.
(Michi)

H. hatte plötzlich meine Hand ergriffen, als wir uns die  riesige Fläche der mit Scheinwerfern gut ausgeleuchteten LEERE ansehen wollten, keine rauchenden Ruinen hatten wir hinterlassen, nur blossen Erdboden. Und ein
Bulle kam, um uns zu verscheuchen. Und ich heulen musste, denn wer darf nicht einmal schauen, wenn unsere Zentren zerstört werden? Wir. Vorher auf der Demo hatten unsere Lieder noch vom Lautsprecherwagen gedröhnt, in Unkenntnis der Sachlage die Allmachtsgefühle zum Lächeln gebracht. „Wiener Polizisten schützen die Faschisten!“ Und Hitze. Und Staub. Und Fußweh. Und abends hatte man an dem, was die Bulldozzer bei der Zerstörung des Hauses übrig gelassen hatten, noch eine bemalte Wand erkennen können, die wie ein Denkmal ins Auge stach. In dieser Nacht durfte ich – traurig wie ich war – ausnahmsweise neben H. schlafen, der seine zwiespältigen Gefühle, die wir gegenüber allem, was wir gerne haben, hegen, für dieses eine Mal überwand. Am
Morgen aber waren wir wütend aufeinander, doch auch das brachte mir nichts, denn der Mann be-schützt und der Polizist beschützt auch oder.

Kettenglied Nr. 2

Und es war einmal eine giftige Menschenschlange, die konnte zeitweise Feuer speien, doch dann auch wieder nicht, wenn es notwendig schien. Und diese Schlange versammelte sich und sie folgte nicht den Regeln der Obrigkeit, die in diesen Zeiten an der Macht war. Und sie wandte sich in engen Gassen gekonnt von einer zur anderen, erfüllte die Stadt mit ihrem Gebrüll und versetzte die Bewohner in Angst und Schrecken. Sie hielt sich aufrecht ein paar
Stunden lang und züngelte und giftelte und rannte vor allem, was das Zeug hielt. Aber die Gläubigen der Obrigkeit in ihren stolzen Kampfgewändern, mit Helmen und Schildern, zögerten nicht. Und als die Riesenschlange ahnungslos um die Kurve flitzte, traf sie auf die Einheiten der Obrigkeit und als sie diese in trickreichster Manier schleunigst umrunden wollte, rollte sie an und prallte auf und mußte sich in ihre Einzelteile rückwärtig selbst zerteilen. Einer der Jünger der Obrigkeit hatte währenddessen, als niemand aufpaßte, eine Eva verprügelt. Sie landete flach und unsanft asphaltmäßig nach hinten. Eine andere Eva, schon älter, hielt ihren blutenden Arm vor die Kamera. Der Arzt im Unfallkrankenhaus rückte seinen Nachnamen nicht raus. Die Anzeigen werden gesammelt. Auf dem Video war alles klar zu erkennen, der Schaden natürlich begrenzt, das Ausmaß der Gewalt nur in Ansätzen, Andeutungen, Androhungen erkennbar. „Im Krankenhaus gibt es eine Station, zu der niemand Zutritt hat. Dort liegen die Leute, die die Polizei verprügelt. Wir konnten die Eva nirgends finden. Wir haben die ganze Stadt nach ihr durchsucht.“ Von unten besehen ragt der Mann in den Himmel. Sein Knüppel setzt dich platt ab auf den Boden. Wenn du dann aufstehst, bist du immer noch kleiner. Eva, wo bist du, ich hab‘ dich verloren. Wo haben wir die Eva verloren? Die Schlange traf auf die Einheiten der Obrigkeit, die Schlange musste sich rückwärtig in ihre Einzelteile selbst zerlegen.

Kettenglied Nr. 3

Ein spindeldürrer Mann verfolgte mich, zwar kein Fleisch dran, doch zäh wie Leder. Mit seiner Spürnase auf meiner Spur am Boden stöberte er mich immer wieder auf, ob ich nun im Innern oder im Hof des Hauses den Oberpunkie suchte. Mit seiner Brille ohne Gläser, mit den verschiedensten Elektrokabeln um den Hals gewickelt, in kurzen Hosen, oh Gott diese sexy Knochen, lächerlich der Mann. Doch seine Pfoten immer mal wieder auf Brust oder Arsch. Auf meinem Körper. Brüllen half nichts. Der Oberpunkie, gnädig aus stolzer Höhe neben mir, ließ den Verfolger in ehrfürchtige Distanz verschwinden. Pause. Jedesmal wenn meine Punkies mich aus der Gruppe schmeißen wollten, hatte ich sie erpresst, denn ich hatte die connections zu den Veranstaltern. Wenn ihr mich nicht singen laßt, dann könnt ihr dieses Konzert da vergessen, hatte ich gesagt. Und jedesmal hatten sie nachgeben müssen. Im Hausflur stand unerwartet der Mann wieder vor mir, fummelte mit der Hand in seiner knappen Badehose herum. Ich versuchte ihm zu drohen, doch der einzige Erfolg meiner Bemühungen war, dass er sein Schwänzchen vollends heraus zog und unter Stöhnen auf mich zukam. Mein Reflex, der schnelle Tritt auf sein Geschlechtsteil kam für mich selbst so unerwartet, dass ich mein Bein nicht rechtzeitig zurückzog, sondern erst, als es schmerzte. Am nächsten
Tag konnte ich seine Fingernageleindrücke an meinem Oberschenkel abzählen. S., die neben mir stand, steckte sich die Hände vors Gesicht und schrie wie am Spieß. Wegen der Belästigungen dieses Typen hatte sie eine Woche vorher in ein anderes Zimmer umziehen müssen. C., der rasch zu Hilfe kam, hielt den wutschnaubenden Mann fest, während ich in Höchstgeschwindigkeit zum Bahnhof trabte. Ich war die einzige Frau auf der Bühne gewesen, obwohl an diesem Abend fünf verschiedene Gruppen spielten. Als wir anfingen, strömten die Fans zur Bühne, das Chaos egierte. Der Mann, der schon beim ersten Lied ein Bier auf mich schleuderte, war der Gitarrist einer anderen Partie.

Erstpublikation in: Eva & Co. Eine feministische Kulturzeitschrift,
Heft 15 „MACHT“, 1989, Redaktion: Eva Ursprung

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