Berliner Konferenz: Export der sozialen Frage nach Afrika
Sie teilten sich den Kongo, ein Gebiet achtzigmal größer als Belgien, einfach unter sich auf: König Leopold II. von Belgien und der deutsche Bismarck unterzeichneten 1884 in Berlin einen Vertrag, in dem Deutschland versicherte, die belgische Kolonialpolitik im Kongo zu tolerieren, Belgien hingegen garantierte dem deutschen Schnaps- und Waffenhandel keine Einschränkung aufzuerlegen. „Die Schnapsausfuhr von Hamburg nach Westafrika war von 1875 bis 1884 auf mehr als das Dreifache gestiegen“, schreibt Pierrette Herzberger-Fofana in ihrem faktenreichen, spannenden Buch „Berlin 125 Jahre danach. Eine fast vergessene deutsch-afrikanische Geschichte“. Auch sollte einer Revolution vorgebeugt werden: „Das wichtigste Argument für den Besitz von Kolonien war der Export der sozialen Frage, um ein Ventil für die sozialen Spannungen in Deutschland zu schaffen.“ Das Buch erschien nun in der von Esperance-Francois Ng. Bulayumi herausgegebenen Reihe des Afroasiatischen Institutes Wien.
Österreich-Ungarn, Frankreich, Deutschland, Italien und Russland traten der „Internationalen Vereinigung zur Ausbeutung der afrikanischen Zivilisation“ bei und Österreich-Ungarn nahm mit 13 anderen Nationen an der Berliner Konferenz teil, um ganz Afrika unter sich aufzuteilen – nach dem Prinzip „La force prime le droit/Gewalt geht vor Recht“. Aufstände der Kongolesen wurden mit einer Armee von europäischen Söldern namens „La Force publique“ grausam unterdrückt – zehn Millionen Kongolesen starben. Die „Herrenpolitik“ des späteren Nationalsozialismus wurde bereits in den Kolonien eingesetzt und in den ersten „Konzentrationslagern“ in Südwestafrika (Namibia) an den Hereros mörderisch getestet. Bismarck sandte den Ersten Reichskommissar Heinrich Göring, den Vater des späteren Nazi-Reichsmarschalls, nach Südwestafrika. „Der Völkermord an den Herero ist der erste historische Genozid deutscher Kolonialherren in Afrika. Er ist ein Vorbote für die späteren Ereignisse, die mit dem Holocaust 1939-1945 endeten“, schreibt Herzberger-Fofana. Der Künstler William Kentridge setzte sich ebenfalls mit diesen Verbindungen zwischen dem Hereros-Genozid und dem Holocaust auseinander.
Erschienen im Augustin