Die Stiefel sind am Marschieren
Wie nah die Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges noch ist und wie stark in den Köpfen verankert, zeigt die Schau im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien. Ein friedens-parteiischer Rundgang mit der Künstlerin Alenka Pirman.
Sechs Paar deutsche Marschstiefel marschieren hintereinander quer durch einen Schaukasten, leicht erhöht auf einem Sockel. „Der Ausmarsch“ steht dabei und in Klammer: „Symbolhaft für den Marschbefehl der deutschen Wehrmacht in den Zweiten Weltkrieg am ersten September 1939.“ Alenka macht ein schnelles Handy Foto, stößt mich mit dem Ellenbogen und fragt: „Was wollte uns der Kurator damit sagen?!“
Fahles, düsteres Licht und viele Kinder im backsteinernen „Heeresgeschichtlichen Museum“ im Wiener Arsenal. „Das kann kein Fehler sein“, sagt die slowenische Künstlerin Alenka Pirman mehrmals hintereinander. „Die wollen sich wirklich auf diese Weise darstellen.“ Die Künstlerin von der „Domestic Research Society/Drustvo za domace raziskave“ war schon im Kriegsmuseum in Tokio und machte Kunstprojekte mit Polizei-Museen in Belfast und Ljubljana. In einer Ecke hängt ein kleiner, eingedrückter, roter Lampion mit Hakenkreuz drauf. „Der schaut tot aus“, sage ich. „Gestorben und wie ein Fetisch nach Claes Oldenburg – mit den Zeitschichten wie eine Zwiebel, die den gruseligen Effekt erzeugen.“ „Der ist nicht tot“, sagt Alenka. „Der lebt noch.“
Ein junger Mann geht auf die Knie, um einen Holzstock zu betrachten. „Victory“ steht auf seinen Turnschuhen. „Das ist der Abschussstock von Gordon Max Gollob“, erklärt ihm ein älterer Mann mit Brille, ein deutschsprachiger Tscheche, „für jeden abgeschossenen russischen Flieger gibt es einen eingekerbten roten Stern – Abschüsse mussten offiziell bestätigt werden – und die Markierung ganz oben steht für einen französischen oder englischen Flieger. Gollob war Träger des Ritterkreuzes mit Eichenlaub, Schwert und Brillanten. Als erster Jagdflieger der Welt mit 150 Abschüssen.“ (Anm. 1948 wurde Gollob „Generalsekretär des Verbandes der Unabhängigen Österreichs“). Der junge Mann, ein deutscher Pilot in Lederjacke, beginnt von Walter Nowotny und Erich Hartmann zu erzählen. „Hartmann war der erfolgreichste 352 Flieger mit 93 Abschüssen. Seine Frau wartete, bis er zurückkam…“ Woher die beiden nur alle diese Einzelheiten wissen, denn es gibt keinen Text dabei. „Die Deutschen mussten aus der Not heraus fliegen, bis sie sterben, die Amis wurden ausgetauscht und waren dann Fluglehrer“, schüttelt der junge Pilot den Kopf und sagt: „Menschen töten ist überhaupt nicht meins. Wie die Deutschen 1999 im Jugoslawienkrieg oder jetzt in Afghanistan als Tornado-Piloten.“
„Was sagen denn zeitgenössische Historiker zu dieser Präsentation?“, fragt mich Alenka. Keine Ahnung. „Man sieht alleine das, was man selber an Wissen mitbringt, denn es gibt keine Erklärungen…“ Alenka zeigt mir an einer Wand ein großes Ölgemälde, „schau mal, das sieht ganz genauso aus wie der Kriegs-Kirmes am Heldenplatz am 26. Oktober.“ Optisch wirklich sehr ähnlich. Das große Bild ist von „Hafner, Rudolf“ aus der Wehrmachtsausstellung von 1940: „Sieghafte Deutsche Waffen am Heldenplatz in Wien, Öl auf Leinwand, um 1940“.
Horror Vacui und Parallelwelt
Ein tragbares Gasschutz-Bettchen, ein einsamer Teddy auf einem Stuhl und auf einem Foto die allererste dargestellte Frau, auf einem Foto mit einer Gasschutzmaske über dem Gesicht. „Sie starben, damit Deutschland leben kann“, steht als große Überschrift auf dem Titelblatt des „Völkischen Beobachters“ in einem Kasten. „Dieses Museum ist überhaupt nicht über Geschichte“, sagt Alenka. „Du hast all dieses verrottete Metall herum liegen und kleine Spuren von Menschen. Diese männliche Kultur-Landschaft überrascht mich immer.“
Die einzige Farbe in dem düsteren schwarz-weißen Raum über den Zweiten Weltkrieg ist das Rot der Hakenkreuzfahnen, zum Ersten Weltkrieg gibt es dann überall Gold, Schreine und personalisierte Tote. Mir fallen die nationalsozialistischen Eltern einiger FPÖler (in Kärnten auch SPÖler) ein, deren Ambivalenzen nie öffentlich bzw. offiziell bearbeitet wurden, ihre Enttäuschung und Trauer überlagert und deren Kinder bis heute so wütend sind – die Wut, die Enttäuschung und den Frust ihrer Eltern in sich tragen. „Wenn deine Wut nicht anerkannt wird, provozierst du was geht und freust dich, wenn du Beachtung findest. Muss hart sein, aufrechte und standhafte Nazis als Eltern zu haben“, sage ich. „Come on“, sagt Alenka. „Are they not crazy? No humbleness around. Some still cherish the party, the Reich and its deeds.“ Ich verstehe, was sie meint – keine Bescheidenheit, keine Demut, kaum Eingeständnis, Menschen ermordet zu haben und die menschenfeindliche Ideologie wird eigentlich indirekt fortgetragen. „Wir können, als Künstlerinnen und Frauen, sowieso nicht mit den ganzen Panzern hier in Konkurrenz treten“, sagt Alenka. „Eigentlich gäbe es ja Blut auf all diesen Uniformen. Das hier symbolisiert eine Parallelwelt. Wir tun so, als ob die nicht existieren würde, aber sie existiert. Die Vitrinen sind vollgestopft mit Sachen, aber es gibt keine Erklärungen. Horror vacui. Bei uns in Jugoslawien gab es früher Museen der Revolution, dann wurden sie mit den politischen Änderungen geschlossen, weil man einige Jahre brauchte, um sich eine neue nationale Geschichte auszudenken. Aber bei euch ziehen sich Stränge der Geschichte ohne einen Bruch durch.“
http://www.aswespeak.eu/?page_id=380
http://www.ddr.si/indexenglish.htm
Ersterscheinung im Augustin 334, 12. 12. 2012 – 9. 1. 2013