Yael Bartana und die Flüchtlinge: Fiktiver, aber leerer Kunst-Planet
Der Wiener Flüchtlingsstreik zog ins Museum. Gut, dass die Kunst sich der Herausforderung der Solidarität stellt. Aber niemand erklärte den anwesenden Flüchtlingen, was Kunst, was ein Museum, was ein internationaler Kunstraum beitragen könnte für eine Entschärfung der Lage.
„Wir wollen, dass drei Millionen Juden und Jüdinnen nach Polen zurückkehren“, spricht der Aktivist Slawomir Sierakowski im Film in einer fiktiven Rede vor imaginierten Tausenden von Menschen, „wir wollen, dass ihr wieder mit uns lebt. Wir brauchen euch! Wir fragen euch, ob ihr nicht zurück kommen wollt.“ In ihrer Ausstellung „Wenn Ihr wollt, ist es kein Traum“ in der Wiener Secession wiederholt die israelische Künstlerin Yael Bartana einige Elemente ihrer Schau von der Kunst Biennale Venedig. Mit anderen Mitteln. Waren es in Venedig Schwarz-Weiß-Filme auf großen Leinwänden mit solcherart riesigen Akteuren, z. B. orthodoxen Juden, die einem gleich am Eingang der Installation ins Auge sprangen, so verlässt Bartana sich in Wien eher auf die Ausstrahlung des Objekts und bringt in einer dunklen, grauen Atmosphäre mit gelben Lichteffekten drei Gedenk-Vitrinen voller Gegenstände von Theodor Herzl und Sigmund Freud, sowie einen „Memorial Shrine“ für ihre eigene Bewegung.
Bartana versuchte für ihr Kunstwerk „And Europe will be stunned“ die „richtige Linie zwischen dem Realen und dem Fiktionalen zu finden. Diese Linie ist nicht fix wie bei einer Grenze.“ In der Vitrine für Sigmund Freud befinden sich u. a. ein Hund aus Ton aus dem Ägypten des zweiten Jahrhunderts nach Christi, ein Kopfgefäß aus Ton (Fälschung) und ein Buch aus 1939 mit dem Titel „Der Mann Moses und die Monotheistische Religion, 3 Abhandlungen“ aus dem Verlag Albert De Lange, Amsterdam. Einige Gegenstände dürften auf Freuds Schreibtisch gestanden sein oder zumindest aus seinem Arbeitszimmer stammen. Den Secessions-Raum dominiert aber ein riesiger, runder, erhöhter Tisch in der Mitte, auf dem das Symbol der polnisch jüdischen Renaissance-Bewegung abgebildet ist und zu dem man über eine Freitreppe mit rotem Teppich hinauf kommt. An diesem Tisch fand in Berlin ein Kongreß statt, auf dem die Forderungen der Bewegung von internationalen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen diskutiert und ausgemalt wurden. In Wien lud die Künstlerin die Flüchtlinge vom Flüchtlings-Streik aus der Wiener Votivkirche ein, ihre Plattform zu nutzen und Bedürfnisse und Wünsche zu formulieren, die dann international in Kunsträumen weiter verbreitet werden können. Die Flüchtlinge fordern aber später ein Stopp der Kameras, ein Einstellen des Filmens.
Passport of Dignity
Zu Beginn leidet das Projekt unter Start-Schwierigkeiten; so wollten zwei Aktivisten in der Früh nichtsahnende Flüchtlinge aus der „Erstaufnahmestelle Ost“ in Traiskirchen für die Kunst sozusagen frisch importieren, die prompt von Zivilpolizei in der Badner Bahn verhaftet wurden. Aber es gelingt einem stadtbekannten sudanesischen Lebenskünstler mit dem Künstlernamen „Doktordoktor“ um die Mittagszeit herum einen ganzen Schwall junger fröhlicher Flüchtlinge an den runden Tisch zu bringen. Die freuen sich, in feierlichen Umständen, mit viel Mikrophonen, Kameras und in einem geheizten Raum ihre Wortspenden abzugeben. Nur der Kaffee ist schon kalt. Ein realer Doktor, Di Tutu Bukasa von der Straßenzeitung „Global Player“ doziert: „Das Konzept des Migranten ist das des Nationalstaates. Doch ein neuer Sozial Vertrag gehört her. Der Parlamentarismus findet keine adäquate Antwort auf diese pakistanischen Leute hier. Ich lernte viel. Diese Flüchtlinge entwickelten die Demokratie. Warum sollten sie kriminalisiert werden, wenn sie einfach nur frei irgendwo siedeln wollen? Man muss neue Demokratieformen erfinden.“ Völkerrechtler Bukasa will einen „Pass der Würde“ entwickeln, sagt er und „das Gesetz kann nur durch das Volk und vom Volk verändert werden.“
Der Flüchtling Nurma spricht sehnsüchtig von einem „weltweiten Ruf der Flüchtlinge“ und davon, dass sie „seit Monaten verloren wären“. Seine gelb-brauen Augen leuchten. Ein junger, oft lachender Flüchtling schreibt alles sorgfältig mit Bleistift auf dem Papier der jüdisch-polnischen Renaissance Bewegung mit. Die Urdu-Schrift mit ihren Kringeln und Haken schaut wie Kaligrafie aus. Nurma übersetzt sorgfältig, was eine lebhafte Debatte ermöglicht. Eine junge Frau schreibt auf einem Laptop mit, was auf eine riesige Leinwand übertragen wird. Fasziniert beobachten die Flüchtlinge die Verschriftlichung ihrer Worte, denn eine Verlangsamung, eine künstlerische „Verfremdung“ ihrer Lebensgeschichten, Wünsche und Bedürfnisse gab es bisher nicht. Es hat etwas sehr Feierliches und Würdevolles – diese Übertragung von Leben in Schrift-Kunst. Gleichzeitig kann Leben aufgehoben und „vergeschichtlicht“ werden, seinen Platz finden in der Menschheits-Geschichte auf diese Weise. Anstrengende und mühevolle Flüchtlings-Gegenwart in der Votivkirche wird auf diese Weise mit Vergangenheit in Pakistan und einer Zukunft im Nirgendwo, aber immerhin in zukünftigen Kunsträumen verortet. „Jeder Mensch sollte sich in Zeit und Ort befinden und verankern dürfen, zu Ort und Zeit dazu gehören“, sagt Nurma sinngemäß.
Die Realität zeigen
„Wir mobilisieren die Menschen aus Österreich“, sagt Adalat Khan, einer der Sprecher der Votivkirche, „es werden wieder Menschen verschwinden. Ihr hattet im Ersten und im Zweiten Weltkrieg das gleiche große Problem, wie ich höre. Wir haben ein riesiges Problem in unserer Region und zeigen euch an echten Beispielen die Realität. Warum töteten sie meinen Bruder, meine Nation…, warum verkaufen und kaufen sie Waffen?“ Ein junger Flüchtling schnauft laut, dann steht er auf und geht weg, in den hinteren Teil des Raumes. „Wir glauben nicht an die Autoritäten“, sagt Adalat, der hagere Mann, der romantisch aussieht mit Kapuze und Haube, „doch hier machen sich die Politiker auf ähnliche Weise lustig über uns wie in unserer Region. Es geht um ‚deathly energy’. Wir wollen unsere Trauer ausdrücken und die Situation aushalten.“ Kunst sollte aber doch eigentlich auch positive Strömungen ausdrücken, Utopien und Visionen entwickeln können, Hoffnung geben. „Wir glauben an die Menschlichkeit und nicht an Religion, es muss einen nicht gewalttätigen Weg geben. Wir lieben das Leben und kamen nicht hierher um zu sterben. Wir wollen diese Killer stoppen, die Menschen umbringen.“
Anders als Tanja Ostojic in ihrem Roundtable über „ Islam, Sex und Terrorismus“, den sie in rotem Cocktailkleid, mit roten Stöckelschuhen und roter Sturmhaube moderierte, bringt sich Yael Bartana nicht in die Debatte ein. Sie stellte nur den Raum zur Verfügung und wollte laut Kuratorin nicht „vereinnahmen“. So erklärt den Flüchtlingen aber niemand, was Kunst beitragen, was ein Museum, ein internationaler Kunstraum tun könnte, für eine Entschärfung der Lage. Auch wenn durch den Kunstraum und die Verschriftlichung ein Ernstnehmen der Flüchtlingsschicksale angedeutet wird, ein Luftholen ermöglicht, eine Verlangsamung von Paranoia anvisiert wird, bleibt nicht viel. Bartana erzählt auch nichts über Israel, einem Land voll alter und neuer Flüchtlings-Geschichten. „Wer wurde in Jerusalem begraben?“, beginnt hingegen die Restaurant-Besitzerin Ifeoma Ojougboh ihr Statement. „Die Stühle derer, die deportiert wurden, bleiben leer. Die Ebene der Deportation hat unser Business der traditionellen Speisen gesäubert. Diese Welt gehört doch uns. Genug ist genug.“ „Man sollte niemand zum Selbstmord zwingen“, sagt Adalat Khan noch. „Ich sehe innerlich immer noch Hundert Tote in den Bergen.“ Zwei Flüchtlinge stöhnen, einer nickt. Ein 18-jähriger Flüchtling, der gerade aus der Schubhaft kam, verlor zwölf Kilos durch den 17-tägigen Hungerstreik und wartet schon gespannt aufs Mittagessen. „Das System benutzt uns“, sagt sein Freund, der beim Refugee Protest Song mitsang, „die pakistanische Armee tötet uns, die Taliban und die USA. Wenn wir es hierher schaffen, werden wir inhaftiert. Auf welchen Planeten sollen wir ziehen?“
Ersterscheinung im Augustin Nummer 399 vom 6.3. – 19.3. 2013, unter dem Titel „Auf welchen Planeten sollen wir ziehen?“
Foto: Yael Bartana „Wenn ihr wollt, ist es kein Traum“. Ausstellungsansicht, Secession 2012