Gezeichnete Erzählungen von Auschwitz
Thomas Frankl erinnert seinen Vater durch dessen Kunst – im Artforum am Judenplatz: Thomas Frankl widmet sein Leben den Ölbildern und Zeichnungen über den Holocaust, die ihm sein Vater, der Auschwitz-Überlebende Adolf Frankl (1903- 1983), „als Mahnung und im Gedenken an alle Unschuldigen“ hinterließ. Als Kind entkam „Tommy“ dem NS-Mörder Alois Brunner durch eine Lüge seiner Mutter.
Dein Vater arbeitete in den Zwanzigerjahren als Karikaturist für Zeitungen. Wie konnten seine Zeichnungen durch die Zeit des Holocaust gerettet werden?
Ich weiß noch, dass Vater ständig gezeichnet hat, egal wo er war, im Kaffeehaus oder zu Hause. Nach dem Holocaust zeichnete er Tag und Nacht, und damals waren es zumeist Erinnerungen aus der Zeit. Unsere Familie wurde im September 1944 verhaftet. In unserer Wohnung hausten dann slowakische und deutsche Soldaten, aber glücklicherweise legten die viele der Papiere in eine kleine Kammer. Also haben wir, nach der Befreiung Bratislavas durch die Rote Armee, einige der Karikaturen dort wieder gefunden. Mein Vater war im Konzentrationslager Auschwitz Birkenau, meine Mutter, meine Schwester und ich waren an verschiedenen Plätzen versteckt. Wir sind 1945 zurück in die Wohnung und plötzlich haben wir den Pfiff des Vaters von der Straße gehört, der ging so, der Pfiff (macht es vor). Im Tageslicht sahen wir ihn durchs Fenster, abgemagert und er hatte sogar eine deutsche Fellmütze auf. Wir sind hinunter gerannt auf die Straße und haben vor Freude geweint. Er wurde von der Mutter entlaust und gebadet und meine Schwester Erika und ich standen vor dem Badezimmer und hörten, dass die geweint haben und das war sicher vor Freude und vor Verzweiflung auch. Er war erst 42 Jahre alt, als er wiederum kam. Einer seiner Brüder wurde in Lublin vernichtet, ein anderer in Auschwitz.
Wie hast du dir als Kind Antisemitismus erklärt?
Als der Faschismus in der Slowakei begann, war das nicht abrupt, sondern in einer Art „Salami Taktik“, Schritt für Schritt. Ich konnte schon lesen und sah plötzlich Aufschriften wie „Hunden und Juden ist der Eintritt verboten“ auf Konditoreien und Kaffeehäusern. Außer zwei Volksschulklassen durfte ich keine Schulen besuchen und lernte erst viel später hebräisch beten. Die Eltern konnten uns die Verbote und Restriktionen nicht erklären. Meine Mutter sagte, wir verstehen selber nicht, was da los ist. Erst später habe ich erfahren, was ein Nazi, was die Hitlerjugend ist, denn die marschierten in den Straßen herum und trommelten in der Früh. Es gab ein Gesetz, dass man ab dem sechsten Lebensjahr einen Stern tragen musste. Das ist der Ausweis von mir (zeigt ihn her, mit Kinderbild). Der war auch in dieser Kammer drinnen. Ich war ein ziemlich lebhaftes Kind und hatte auf der Lederhose Glockerln angenäht. Man wurde als „Zid“ oder „Saujude“ beschimpft, bespuckt oder herunter geschubst vom Gehsteig. Es hat mir sicher eigenartige und ängstliche Gefühle gemacht. Als Hitler 1941 in Russland einmarschierte, waren wir bei den Großeltern zu Besuch und sassen im Erdgeschoß im Zimmer und plötzlich stürmten durch die Fenster Soldaten herein. Eventuell mit Bajonetten. Man beschuldigte meinen Großvater, dass er Schwarzsender hörte. Ich sehe das noch vor mir, dass einer von denen den Samowar packte und gezielt auf den Großvater schmiss und Gottseidank ist der Samowar stecken geblieben im Luster. Wir haben uns sehr erschrocken.
Du hast als Kind einmal Alois Brunner, den Assistenten von Adolf Eichmann, getroffen – wie kam es dazu?
Als wir nach unserer Verhaftung auf dem Güterbahnhof vor dem Einwaggonieren standen, kam dieser SSler und es stellte sich später heraus, das war Alois Brunner, der meinen Vater in den Waggon sandte. Eigenartigerweise können wir ihm aber unsere Rettung verdanken, oder eigentlich meiner Mutter, weil sie ihn angelogen hat. Sie sagte: Ich kam her, um meinen Mann zu holen, der wurde irrtümlich verhaftet. Er ist nicht jüdisch. Daraufhin sagte Brunner, wenn er kein Jude ist, dann war es bestimmt der Vater, Großvater oder der Urgroßvater. Meine Schwester und ich sind unten bei der Laderampe gestanden. Meine Mutter sagte: Ich bin auch nicht jüdisch und die Kinder auch nicht. Alois Brunner sagte: Dann gehen Sie von hier weg, sonst schicken wir Sie mit ihrem Mann an die Arbeit. Und meine Mutter, so geschickt und vif wie sie war, sagte sofort: Dann geben Sie mir bitte eine Begleitung, damit ich den Bahnhof verlassen kann. Brunner rief zwei Soldaten der Freischütz-Staffel, das waren die von der deutschstämmigen Minderheit in der Slowakei, und er sagte denen: Begleiten Sie die Frau mit den Kindern hinaus, die ist eine Arierin. So entkamen wir und haben uns im Park versteckt, bis es dunkel wurde. Wahrscheinlich hat die Mutter den Stern mit der Tasche abgedeckt, denn hätte der Brunner den Stern gesehen, hätte er uns auch einwaggonieren lassen. Als Vater schon im Waggon drinnen war und nicht wusste, ob wir in einem anderen Waggon waren, hat er im wienerischen Slang einen deutschen Soldaten ersucht, dass er feststellen soll, ob eine Frau Rene Frankl mit zwei Kindern in einem der Waggone ist und der deutsche Soldat hat ihn netterweise bei der Hand genommen und ging mit ihm die Waggons entlang und rief den Namen aus. Mein Vater erzählte später, dass ihm das die Kraft gab, das Gefühl, dass wir nicht einwaggoniert wurden, im Lager ständig zu kämpfen, um zu überleben.
http://artforum.judenplatz.at/
Erschienen im Augustin 342, 17. 4. – 30. 4. 2013
Fotos: Heiko Kilian Kupries
Bildunterschrift: Gut behütet vom Hut seines Vaters, eines KZ-Überlebenden