postheadericon Josef Weinheber: „Am tiefsten ergreift der Tote, der Dulder aus Eis!“

Kunstaktion gegen den Weltuntergangsdichter und gläubigen Nazi Josef Weinheber. Ein schweres Betonfundament für die Büste eines antisemitischen Dichters und Protest gegen poetische Todespropaganda: Junge Künstler_innen unterhöhlten am Wiener Schillerplatz das Andenken an Josef Weinheber, der Todesliebe und Geschlechterhaß bedichtete.

Priwo [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia CommonsJosef Weinheber ist ein gefährlicher Mann. Denn, auch wenn sich der antisemitische Dichter  am 8. Mai 1945 selbst umgebracht hat, so leben Teile seiner lebensfeindlichen ideologischen Welt bis heute fort. Josef Weinheber war sich bewußt, dass sein Aufenthalt in Korrektionsanstalt und Waisenhaus, in dem seine 14-jährige Schwester als seine letzte Familienangehörige starb, tiefe Folgen für seinen Charakter hatte. Er beschrieb sich als „Niemandsmann“ und veröffentlichte einen ganzen Roman über seine Zeit im Waisenhaus. Weinheber „arbeitet sich“ von seinen Kindheitstraumata zu einem gewaltigen Frauenhaß „vor“, der in einer (in seiner Zeit üblichen) Verankerung „des Weiblichen“ in Sünde, Triebhaftigkeit und Geistlosigkeit fußt, obwohl er mit zwei schreibenden Frauen verheiratet war. Während er Selbstverlorenheit und Selbstauflösung in sexuellen und alkoholischen Räuschen sucht, wirft er diese aber dem „Gott-Tier und Satan Weib“ vor. Die Soldatenbriefe von der Front, mit der klassischen Aufteilung in „heilige Mütter“ und „zerstörerische Huren“, die Klaus Theweleit publizierte, sind auch schlimm, aber Weinheber geht sogar bis zur Propagierung von „Schändung“, wie der Germanist Albert Berger in seiner genauen Analyse heraus fand*!

 

Aus Täterperspektive geschaut

Gefährlich ansteckend ist in Weinhebers Gedichten, die noch lange in österreichischen Schulbüchern zu lesen waren, auch die starke Todesliebe, die „Bearbeitung“ von Todesfällen mit Todessehnsucht („Dann leg die Schlinge an!“), die aber die realen Morde der Nazis ignoriert. Durch die Unterschwelligkeit weitaus subversiver als die offenen Führer-Liebesgedichte des frühen Parteimitgliedes seit 1931. „Ich finde die verschiedenen Zeitschichten spannend“, sagt Chris Gangl, ein Künstler von der Akademie der bildenden Künste am Wiener Schillerplatz, „1975, dreißig Jahre nach Weinhebers Selbstmord, wird seine 1940 entstandene Büste im Park vor der Akademie aufgestellt. 1991 wird der Sandsteinsockel, der schwer von Graffiti zu reinigen ist, gegen Marmor ausgetauscht und das ganze Denkmal mit einem Kubikmeter Beton im Boden verankert.“ Gangl beschäftigt sich mit Kriegerdenkmälern, „die ja auch Todessehnsucht, das Sterben fürs Vaterland propagieren“ und ihrer Kontextualisierung. Seine erste Filmarbeit für die Akademie stellte die Gedanken seines Großvaters, eines polnischen Zwangsarbeiters, dar. Dieser beobachtete, wie Nazis jüdische Menschen abtransportierten und Waggons mit Kleiderresten zurückkamen. „Es gibt viele Bilder zum Nationalsozialismus“, sagt sein Enkel heute, „aber primär aus Täterperspektive. So ein Weinheber-Denkmal kann man nur aufstellen, wenn man primär aus der Täter-Perspektive schaut, sonst müsste man an die Menschen erinnern, die keine Gedichte mehr schreiben können.“ Um einen „ästhetischen Bruch zu inszenieren, der aber die Wirkmächtigkeit der Büste nicht wirklich angreifen kann“, half Chris, das Betonfundament der Büste auszubuddeln und zu zeigen, wie tief Antisemitismus in Wien verankert ist.

Josef Weinheber war sehr eifersüchtig auf jüdische Literaten und Verleger mit kulturell und stilistisch reichem Selbst, er sah sich nur als „Text-Handwerker“ und gestand sich ein, nie ein  echter Poet werden zu können. Gleichzeitig sah er die deutsche Sprache als seine Herrin und betete sie gottgleich an! Mittel, die andere traumatisierte Menschen verwenden, um sich Schritt für Schritt ein Selbst aufzubauen – Kunst und Sprache – wandte Weinheber gegen sich. Er zelebrierte seine Selbstzerstörung in der Kunst. „Er konnte nie Herr über die Sprache werden, denke ich“, drückt Chris das Dilemma aus, das den Dichter zerriss.

Leerstelle Shoah

„Das Stadtgartenamt entdeckte das Weinheber-Loch bei seiner Morgenrunde“, erzählt Tatiana Kai-Browne, ebenfalls aus der postkonzeptuellen Kunstklasse von Marina Grzinic. „Es war hart dabeizusitzen und zu sehen, wie das Betonfundament wieder zugegraben wird, zwei Stunden lang.“ 2009 wurde im Rahmen der Student_innen-Proteste die „Plattform Geschichtspolitik“ an der Akademie gegründet, die schon mehrere Aktionen startete. „Das Kaiser Leopold Relief in der Säulenhalle wurde umgestaltet. Leopold I. vertrieb 1670 die Juden aus der Leopoldstadt, ließ die Synagoge abreißen und die Leopoldskirche erbauen. Wir ergänzten den Schriftzug ‚dem Gründer der Akademie’ mit  ‚dem Vertreiber der Jüd_innen’ “, sagt Tatiana. Der Platz vor der Akademie war einer der letzten Wiener Orte, auf dem sich Juden 1938 noch versammeln durften. „Dort überklebten wir Straßenschilder. In Bezug auf die Leerstelle Shoah trifft es ein Zitat von Giorgo Agamben genau: Man kann nie für die Umgebrachten reden, aber es ist eine krasse Notwendigkeit die Lücke immer neu und anders zu füllen“, meint Tatiana. Was aber Weinhebers Todesliebe und Juden- und Frauenhaß betrifft, wäre wohl eine ganze Gedenklandschaft mit Werken verschiedener Künstler_innen vonnöten. Zusätzlich zur optisch schönen Unterhöhlung des Sockels.

 

*Albert Berger: Josef Weinheber 1892 –1945, Leben und Werk – Leben im Werk, Otto Müller Verlag 1999

Ersterscheinung im Augustin Nummer 348, 24. 07. – 21. 08. 21013

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