Reger Besuch in isolierten deutschen Flüchtlingslagern
Flüchtlingsfrauen in Deutschland möchten, dass desolate und isolierte Lager geschlossen werden. Sie wollen ihre Gewalterfahrungen in Ruhe und Würde aufarbeiten. Eine Konferenz von Flüchtlingsfrauen in Hamburg zeigte die Unterschiedlichkeit, aber auch die Stärke der 150 trotz Residenzpflicht angereisten Protagonistinnen.
In der Ferne glitzert die Elbe, man sieht die Schiffskräne des Hamburger Hafen. Quer über die Längsseite der Aula einer Tagesschule auf St. Pauli verläuft eine Glaswand, durch die die Teilnehmerinnen der gut besuchten Flüchtlingsfrauen-Konferenz Tausende von Marathon-LäuferInnen beobachten können, die den Hügel hinab und die Hafenstraße entlang laufen. Schiffe tuten in der Ferne. „Du kannst sogar alleine die Isolation in deinem Flüchtlingslager überwinden“, sagt eine iranische Filmemacherin, die selbst als Flüchtling nach Deutschland kam. „Gegen die Isolation hilft ein Dokumentieren deiner Situation, mit Text, Foto oder Film. Dann kannst du das Resultat zu anderen bringen und die draußen können die Situation sehen.“ Die Iranerin ist ein lebendiges Beispiel für eine Flüchtlingsfrau, die es geschafft hat, sich trotz aller Hürden ein eigenständiges Leben in Deutschland zu erarbeiten. „Isolation“ ist hier das bestimmende Wort, das in fast jedem Redebeitrag vorkommt.
In Deutschland solidarisieren sich derzeit bundesweit anerkannte Flüchtlinge, die sich selbst „Flüchtlingsaktivisten“ nennen, mit neu angekommenen Menschen, deren Asylverfahren gerade laufen. Das sind genau jene, die zu Beginn das Wiener „Refugee Camp“ besuchten und in österreichischen Medien und von der Innenministerin als „deutsche Aktivisten“ dämonisiert wurden. Deutsche! Aktivisten! Niemand sagte dazu, dass es sich um in Deutschland anerkannte Flüchtlinge handelt, die Flüchtlinge im Asylverfahren unterstützen möchten. Am Abend zuvor konnte man im wunderschönen „Kölibri“, einem selbstverwalteten Ecklokal mit hohen Räumen am Hein-Köllisch-Platz, einem ungewohnten Ereignis beiwohnen: 120 bis 150 Flüchtlingsfrauen, die mit ihren Kindern an Tischen sitzen, und fröhlich verschiedenste Gerichte zu sich nehmen – und lauter Männer, die hinter der Theke und der Schank stehend höflich und freundlich Essen austeilen. Denn die Männer der Flüchtlingsorganisation „Karawane“ hatten sich vorgenommen, drei Tage lang für die gesamte Konferenz zu kochen und zu putzen, was sie auch durchhielten.
Persönliche Verfolgung
„Vor elf Jahren wurde unser Asyl bereits abgelehnt. Seitdem versuchen sie uns abzuschieben“, erzählt eine junge russische Frau, die als Kind nach Deutschland kam. „Zehn Jahre haben wir kein Bargeld bekommen und Arbeitsverbot hatte mein Vater auch. Als unser Lager geschlossen werden sollte und alle Flüchtlinge in ein noch schlechteres Lager umziehen, waren wir die einzige Familie, die sich wehrte. Wir blieben einfach. Die Polizei kam, der Staatsschutz, die Ausländerbehörde: Wir sollten unsere Sachen in einer halben Stunde packen. Mein Vater und ich befragten andere Flüchtlinge, wer schon einmal protestiert hat. Ein Flüchtling besaß die Nummer des Flüchtlingsrates, traute sich aber nicht anzurufen. Der Flüchtlingsrat Thüringen verwies uns auf den Flüchtlingsrat Niedersachsen. Und wir organisierten die allererste Flüchtlingsdemo, die es jemals gegeben hat!“
Im Unterschied zur Flüchtlingskonferenz in München mit den Frontalvorträgen einer Handvoll männlicher Flüchtlinge, auf der Fragen allein in schriftlicher Form möglich waren, ist hier in Hamburg das Mikrofon verfügbar und wird auch fleißig benutzt. Eine Frau nach der anderen erzählt ihre Geschichte. Das ganze Elend mit den entwürdigenden Lebensbedingungen mitten im reichen Deutschland ist schwer auszuhalten und immer wieder steigen einzelnen die Tränen hoch, doch diese Öffentliche-Rede-Methode hat auch eine befreiende Wirkung und die jeweilige Sprecherin wird im Anschluss von anderen angeredet – so ergeben sich kleine Netzwerke, je nach Problem, Bundesland, gemeinsamer Sprache oder einfach nur Sympathie und Neugierde.
„Flüchtlinge, die die Öffentlichkeit suchten, wurden noch mehr unter Druck gesetzt“, berichtet eine junge Frau mit roter Lederjacke. „Die Ausländerbehörde begann jede Woche etwas Neues zu finden. Die Kriminalisierung startete. Wir wurden sogar wegen Verleumdung angeklagt, weil wir der Behörde Rassismus vorwarfen. Petitionen wurden vom Staatsschutz beschlagnahmt, Aktivisten abgeschoben und mich rief der Leiter der Ausländerbehörde mehrmals auf meinem Handy an.“ Mehrere Afrikanerinnen schütteln vehement den Kopf, persönliche Verfolgung durch einen hohen Beamten? Wie schrecklich. „Um sechs Uhr früh drang der Staatsschutz in unsere Wohnung ein und beschlagnahmte beliebig persönliche gegenstände: Handys, Computer, Adressbücher, Notizbücher. Auf dem PC fanden sie ein Foto, das mich bei der Flüchtlingsaktion am Brandenburger Tor zeigte, ohne Erlaubnis der Behörde – dafür wurde ich dann angezeigt. Auch dafür, dass wir trotz Gutschein keine Gardinen gekauft hatten. Es laufen noch fünfzehn Verfahren gegen uns!“ Mittlerweile rutschen einige unruhig auf ihren Sitzen hin und her. Die Flüchtlingsfrauen sind zum Teil mit Verletzung der Residenzpflicht aus weit entfernten Bundesländern zur Konferenz gekommen. „Doch wir lassen uns nicht unterkriegen, kämpfen immer weiter und wir werden gewinnen“, sagt sie in bestem Deutsch. „Der bisherige Kampf hat sich gelohnt. Der Leiter der Ausländerbehörde wurde zum Verkehramt versetzt. Jetzt darf ich arbeiten und dahin fahren, wohin ich möchte.“ Begeistertes Klatschen, die selbstbewusste junge Frau geht ab. „Wir danken einer Schwester, die ihre wertvollen Jugendjahre in diesem Lager verloren hat“, sagt die türkische Karawane-Moderatorin. „Eine Frau kann vieles nicht erzählen über den Gewaltaspekt, der angewandt wird, wenn man kämpft.“
Schimmel, Ratten und Mäuse
„Flüchtlingslager Dachau. Holzbaracken zwischen Schlammlöchern. 200 Menschen“, „Flüchtlingslager Schengau, Holzbaracke am Stadtrand, kein Deutschkurs, keine Hausaufgabenbetreuung, 70 Personen, mitten im Industriegebiet, kein Kontakt zur einheimischen Bevölkerung“. Die von den Flüchtlingen gemachten Fotos auf den Schauwänden im Kölibri sind äußerst trist. „Ausreisezentrum Fürth Hafenstraße, Containerlager für 200 Personen und Abschiebelager 50 Personen.“ „Zur freiwilligen Ausreise zwingen“, steht dabei und „Da der Aufenthalt sich nicht verfestigen soll, wird ihnen alles private Hab und Gut abgenommen“. Auf ähnlich schreckliche Weise geht es weiter: „Flüchtlingslager Beratzhausen, Schimmel, Ratten und Mäuse“, „Heiligenhaus, direkt neben dem Friedhof“… Eine Afrikanerin berichtet, dass sie pro Woche zwei Lager „schaffen kann“. Die anerkannten Flüchtlinge in Deutschland scheinen häufig die sehr isoliert liegenden Lagern zu besuchen, in denen Flüchtlinge bis zu zwölf Jahre fest sitzen. Kinder werden hier geboren und wachsen zwischen den Containern auf. „Einige haben Kinder mit deutschem Pass und sie kommen nicht aus den Lagern raus, weil man muss erst kucken, ob der Vater wirklich ein Deutscher ist. In Remscheide wurde eine Frau in Handschellen abgeführt, um einen Speicheltest zu machen, ob ihr Kind wirklich ihr Fleisch und Blut ist. Wenn es so weit kommt, dass wir in Handschellen geprüft werden, was heißt das für uns?“, fragt eine Frau, die jahrelang in Isolationshaft in der Türkei sass. Auch die sozialistischen Flüchtlingsfrauen haben hier mitorganisiert, doch immer wenn von Sozialismus geredet wird, schauen die aus ehemalig „realsozialistischen“ Ländern geflüchteten Fraun betont in die Luft. Gerade, dass sie nicht zu pfeifen beginnen.
Ausgeschnittene Welt
„Wir sind im Lager, wir sind nicht sichtbar. Kommt ihr zu uns, oder findet einen Weg, dass wir zu euch kommen können“, bittet eine afghanische Frau mit buntem Kopftuch. „Das Embryo der Frauenflüchtlingsbewegung kann sich entwickeln.“ „Die Blüte der Frauenflüchtlingsbewegung kann sich in eine Blume verwandeln“, wird auf englisch übersetzt. „Das koloniale Unrecht, das wir aus unseren Ländern kennen, wird in Deutschland fortgeführt. Wie können wir von hier aus für die Verbesserung der Situation in unseren Herkunftsländern eintreten?“, kommentiert die Moderatorin, „Ein Leben in Duldung bedeutet Residenzpflicht, keinen Sprachkurs, keine Integration – das ist Tod und nicht Leben. Die Situation in den Heimen und Lagern ist unerträglich und muss beendet werden. Wir werden das alles auf die Straße bringen.“ „Man ist aus der Welt ausgeschnitten“, formuliert später eine algerische Journalistin, die kurz vor der Abschiebung steht, ihr derzeitiges Leben. „Bitte zusammen halten und immer nett sein“, schlägt eine Afrikanerin vor, die im Deportations-Lager Horst in Mecklenburg Vorpommern saß und dreimal wegen Depressionen ins Krankenhaus musste. Nach vielen gemeinsamen Protesten mit antifaschistischen Gruppen entschied nun das zuständige Gericht in Schwerin, dass ihr Heim mit Ende Juni geschlossen wird. Alle klatschen und freuen sich.
Ersterscheinung in der „asyl“, der Zeitschrift der „asylkoordination“ Wien 02/13, unter dem Titel „Isolation überwinden“
Fotos: Mahdiyeh Kalhori
Danke für diesen Artikel. Ich war in den 1990er Jahren Ausländerbeauftragte in einer Stadt zwischen Berlin und der polnischen Grenze. In jener Zeit wurden die Weichen gestellt, für das, was wir heute im Alltag der Flüchtlinge in Deutschland wiederfinden.
Wenn irgend jemand Zweifel an meinen folgenden Schilderungen hegen sollte, dem kann ich versichern, dass ich alles schriftlich belegen kann. –
Ich begleite das Leben eines Asylsuchenden seit ca. 6 Jahren und habe die geschilderten Schikane persönlich miterleben müssen, ohne dass wir uns wehren konnten.
Im wesentlichen sieht es bei fast allen Flüchtlingen gleich aus. Wer sich im Asylverfahren nicht verteidigt, wird abgeschoben, wie es heißt: „zur freiwilligen Ausreise aufgefordert.“ Wer sich zu lautstark wehrt, wird ebenfalls abgeschoben. Nur wer den Instanzenweg enhält und alle Schikane über sich ergehen lässt, hat die Aussicht auf Erfolg.
Ist ein Asylantrag erst mal abgelehnt, gehen auch alle weiteren „Errungenschaften“ wie eine Arbeitserlaubnis verloren. Bei einem Folgeantrag fängt auch alles wieder von vorne an, obwohl der Mensch in seinem Leben bereits Jahre des Stillstandes ertragen musste. Solange aber nicht über den Folgeantrag entschieden ist, bleibt auch die angedrohte Abschiebung nur „ausgesetzt“.
Hat der Asylsuchende wieder seine Arbeitserlaubnis errungen, so kommen auf ihn Kostenfragen zu. Handelt es sich um eine Teilzeitbeschäftigung (die gerne angenommen wird, nur um nach Jahren der Untätigkeit endlich arbeiten zu können), so sind die Kosten für die Unterbringung im Wohnheim selbst zu tragen. Sollte der Arbeitsort des Asylsuchenden nun nicht mit seinem Aufenthaltsort übereinstimmen und der Aufenthalt für die Arbeitsaufnahme in einer Region genehmigt sein, so bezahlt dieser Flüchtling von seinem schon geringen Einkommen sowohl den Wohnheimplatz als auch sein Zuhause am Arbeitsort. Ob es einen Anspruch auf Wohngeld für ihn gibt, wurde mir bisher noch nicht beantwortet. Wenn ich das Gesetz richtig deute, besteht dieser Anspruch nicht.
Und nun kommt die Frage des Familiennachzuges ins Spiel. Diese ist nicht möglich, solange über das Asylverfahren nicht entschieden wurde. Die Familie lebt aber weiter und die Repressalien der Gesellschaft treffen sie, weil das Familienmitglied geflohen ist. Unterstützung von außen, also vom Asylsuchenden selbst, können sie nicht erwarten, weil er keine Möglichkeit hatte, durch Arbeit sein Geld zu verdienen. Oft sind die Verbindungen abgeschnitten, so dass sie über Jahre nichts direkt voneinander hören. Und wenn es dann doch zu Kontakten kommt, spielen sich schreckliche Szenen ab. Die Familie – an den Rand der Existenz gedrängt, versteht die Lage des Asylsuchenden in Europa (hier Deutschland) nicht und glaubt, dass er/sie die Famili nicht unterstützen will. Und so ist ein positiver Schritt in die heiß ersehnte Erwerbstätigkeit von vielen gravierenden Problemen überschattet. Mit der heutigen Gesetzeslage kann nur die Zeit diese Wunden heilen. Und wichtig – wie in diesem Artikel auch dargestellt – die Öffnung der „Übergangsheime für Asylsuchende“ für einheimische Bevölkerung. Es macht mir wieder Mut, wenn ich lese, dass diese Möglichkeit auch genutzt wird.