postheadericon Maghrebinischer Flüchtling statt Sehnsuchtsreise

Wie eine Privatperson dem Staat die Flüchtlingsunterstützung abnimmt: Die schöne Stadt Villach verfügt über tschetschenische Internetcafes, MigrantInnenberatungsstellen auch für Roma, die als Galerie dienen, und tolle Ausstellungs- und Konzert-Orte wie den „Kulturhofkeller“. Aber ziemlich dringend fehlt es an TherapeutInnen für Trauma-Schäden und – an einer Straßenzeitung.

Mostafa-GMaurer-4„Bei mir darf er ja spinnen“, sagt B. im Kulturhofkeller in Villach und deutet mit der Hand auf M., der freundlich lächelt. „Und das nutzt er weidlich aus.“ Die beiden wirken wie ein altes Ehepaar, was sie aber nicht sind, sie leben bloß seit Jahren in einer Art Wohngemeinschaft zusammen und kennen sich genau. „Vor der Saualm war M. in einer noch viel grauslicheren Einrichtung, einer Vorzeigeinstitution für Flüchtlinge im negativen Sinn. Die mittlerweile gesperrt ist.“ B. wirkt ein bißchen müde und ausgebrannt, aber immer noch zäh und entschlossen. „In dem Heim gab es immer Brösel. Und keine Deeskalations-Maßnahmen. Die sitzen da aufeinander, die ganzen Flüchtlinge, mit ihren schlimmen Erfahrungen gemeinsam eingepfercht, ohne Perspektive. Es war urheiß und einige tranken in dieser nervenaufreibenden Situation auch noch Alkohol. Auf jeden Fall kriegte M. einen Schlag ins Gesicht und es kam zu einem Raufhandel. Dann hat man ihn und einen zweiten Araber auf die Saualm in die Sonderanstalt für straffällige Asylwerber hinauf geschossen“, erzählt B. weiter. „Obwohl er angegriffen worden war, ist er letztendlich als Einziger sitzen gegangen. Unter der Devise, er würde ins Krankenhaus kommen, brachte man ihn in einer Nacht-und-Nebel Aktion auf die Saualm hinauf.“

Er malte und malte

M. sieht so nett und hübsch aus, das man ihm diese Geschichte gar nicht zutraut. Gut genährt und gut gekleidet, von einer Privatperson aufgefangen, als der Staat ihn und er sich selbst immer mehr destabilisierte. Auf der Saualm, in der nebligen Einöde, in der Einsamkeit der Berge, begann er mit Lack auf Holz zu malen, mit Farbresten auf Karton, mit Material, das er fand. Er konnte nicht mehr. Aus seinem Land mußte er fliehen, weil ihn ein Nachbar, ein Polizist aus nächster Nähe angeschossen hatte. Er überlebte zwar, hat aber bis heute schreckliche Albträume und innere Unruhe. Keine Nacht schläft er durch. Das Gericht verurteilte den Polizisten nicht, auch eine weitere Gerichtsverhandlung führte nicht zum Schutz M.s vor weiteren Verfolgungen. Die Mutter, die über viele Jahre alleine sechs Kinder großzog, und der Vater, der als Gastarbeiter Libyen wegen der Konflikte über Jahre nicht verlassen durfte, konnten ihm nicht ausreichend helfen. Auf der Saualm verschlechterte sich M.s Zustand letztendlich trotz Malerei rapide, und er drehte durch. „Das wurde ihm als Bedrohung angelastet“, meint B.. Nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt kam er dann fünf Wochen in Untersuchungshaft, was seinen Zustand nicht verbesserte. „Bei der Urteilsverkündigung bekam er einen Nervenzusammenbruch, was ihm noch dazu als Widerstand ausgelegt wurde.“ B.  schüttelt den Kopf. Eine Frau wäre wohl in die Psychiatrie eingeliefert worden. Männer landen mit Traumaschäden und den entsprechenden, geschlechtsspezifischen Symptomen, leichter im Häfen und bleiben dort. M. hatte bis heute nie die Chance auf eine adäquate Traumatherapie; Medikamente können Gespräche nicht ersetzen. Er erhielt Medikamente gegen die innere Unruhe und damit er schlafen konnte. „Seit dem Tag der Haftentlassung wohnt er bei mir“, sagt B., die M. über eine Freundin kennenlernte. In stundenlangen Spaziergängen und unzähligen Gesprächen gelang es der kleinen, zarten Österreicherin den Flüchtling zu stabilisieren. „Er fing an zu reden, sobald wir uns in Bewegung setzten.“ Und er malte und malte. „In Villach ist  es absolut schwer Trauma-Therapeuten zu finden“, kritisiert B., „und der Verein ASPIS in Klagenfurt ist auf Tschetschenen spezialisiert, und die haben eine urlange Warteliste.“ Sie glaubt aber sowieso, dass Gesprächstherapie eine „sehr europäische Erfindung“ sei und dass „der bildnerische Ausdruck andere Therapieformen ersetzen“ könnte, bzw. die Kunsttherapie, die M. mit sich selber veranstaltet, weitaus besser funktionieren würde.

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Malerlicht in Algerien

„Ich habe mich noch nie in meinem Leben so gekümmert um jemand. Auf der Saualm wurde meines Erachtens alles getan, damit kein Arzt an die Flüchtlinge herankommt“, meint B., die zu M. kam „wie die Jungfrau zum Kind“. Teilweise folgte die „totale Überforderung“: „Du hast einen Mann bei dir. Du hast ein Kind bei dir. Er nimmt dich teilweise mit auf seine  Hochschaubahn.“ Sie hätte aber eben ein Faible für den Maghreb, den sie gut kenne, und die Maghrebiner_innen. Ihr Großonkel Franz, ein Maler aus dem Nötscher Kreis, bereiste den Maghreb wegen des schönen Lichtes. Er wurde im Ersten Weltkrieg als feindlicher Ausländer in ein Internierungslager gesteckt. „Es gibt ein schönes Porträt eines algerischen Mitgefangenen“, sie selber besitzt ein Bild einer Beduinenfrau. Im Zweiten Weltkrieg setzten die Alliierten einen Bombenvolltreffer auf das Atelier ab, der Onkel und B.s Oma kamen ums Leben. „Wir fahren einmal nach Nordafrika, sagte mein Vater immer zu mir. Eine Sehnsuchtsreise, die nie stattfand.“ Der Vater war ein Frächter und seine Tochter gab einem Flüchtling Farbstifte und Zeichenpapier. „Er kann ja nicht immer malen“, kommentierte die Flüchtlingsheim-Betreiberin. „Warum nicht?“, fragte B.. In der Beratungsstelle PIVA, in der die Räume im Kreis angeordnet sind, hängt jeder einzelne Raum voller M.-Bilder. Die Leiterin, Burgi Decker, meint, dass PIVA für M. ein kreativer  Freiraum sei. Dort tauscht der Einzelkünstler auch regelmäßig Werke aus, bringt neue Kunst vorbei – für seine Dauerausstellung.

Wind aus den Segeln

Ein riesiges silbernes Schiff auf türkisem Grund hängt in einem Unterrichtsraum neben der Tafel, auf dem Tisch stehen Keramiken von Kindern. Viele Roma aus dem Kosovo suchen PIVA auf. Ab dem Jahre 2001 wurden KosovarInnen nicht mehr anerkannt und es kam zum großen Schub bereits integrierter Familien. Die Kinder wurden während des Schuljahres, auch ohne sich verabschieden zu können, deportiert, „weil wir einfach nicht geglaubt haben, dass die das wirklich machen!“. So gab es vorab keinen Protest zu dieser Aktion des mittlerweile abgesetzten Kärntner Flüchtlingsreferenten Gernot Steiner. Zwei rote Bilder mit verschwommenen, verwischten Figuren im Durchgang, eines mit goldenem Rahmen in der Küche. Burgi Decker erzählt vom Wasenboden an der Drau, dem traditionellen Zirkusplatz, der früher auch Rastplatz für Roma mit Wohnwagen war und der nach Medienberichten auf die „Gstettn“ verlegt wurde. Den Zirkus besuchten dann aber alle VillacherInnen. Wenige AfrikanerInnen lebten in Villach, aber SyrierInnen gäbe es, „viele wollen aus Kärnten weg, die wollen alle nach Graz oder Wien. Die Schubhaft ist jetzt in Klagenfurt.“

Ersterscheinung im Augustin Nr. 352, 2. 10. – 15. 10. 2013

Fotos: Gerhard Maurer

 

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