„Nieder mit den nazistischen Blutsäufern!“
„Wiener, erschlagt die braunen Bluthunde“, schrieb ein junger Laborant, den Zettel bewahrte er leider in seiner Brieftasche auf. Das Papier mit den Verfluchungen diente dem „Mischling ersten Grades“ als heimlicher Trost, da er wegen seiner Abstammung verspottet wurde. Sein jüdischer Vater flieht 1938 und lässt seine Kinder zurück (es wird nicht erwähnt warum). Als Wolfgang Pogner seine Brieftasche verliert, führt das Zettelchen zu seinem Untergang. In der Untersuchungshaft besucht ihn seine Schwester Susi. Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ wird der junge Mann vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und mitleidslos aus seiner „Armesünderzelle“ heraus am 5. Dezember 1944 im Landesgericht Wien hingerichtet.
Schwer zu lesen sind in dem neu erschienen Buch „Die Vollstreckung verlief ohne Besonderheiten. Hinrichtungen in Wien, 1938 bis 1945“ die Schicksale und Geschichten der in der Zeit des Nationalsozialismus Hingerichteten. Brigitte Bailer, die wissenschaftliche Leiterin des „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes“, versucht in einem nüchternen Stil die Zusammenhänge und Fakten zu erläutern. Was wohl der richtige Tonfall, das richtige Maß für eine Weitergabe der NS-Geschichte an Schulkinder und Jugendliche ist? Die Balance halten zwischen den Fakten, die hart und unumstößlich sind, und den Emotionen, die sich dahinter verstecken? Betroffenheit niederhalten, auf kleiner Flamme, um handlungsfähig zu bleiben? Heftig z. B. das abgedruckte, handschriftliche Gnadengesuch der elfjährigen Lotte Kaluzik für ihren Vater Karl: „Wir können uns das nicht vorstellen, das wir nun keinen Vater haben sollen, der doch immer so gut und lieb zu uns war.“
Was kann jemand die Todesstrafe erleichtern? Ein Pfarrer, der dem Menschen, der gleich hingerichtet werden wird, noch schnell „ein paar Stoßgebete zur Ablenkung“ zuspricht, oder die Hoffnung, dass die schändlichen NS-Mörder garantiert einmal bestraft werden, wie der kommunistische Widerstandskämpfer Robert Kurz schreibt? Die Hoffnung, sich auf „der Himmelstraße“ wiederzusehen, wie Anni Gräf ihrer Freundin Poldi sagte?
Im Kriegsverlauf wurden immer mehr und auch winzige „Delikte“ mit dem Tode bestraft. 1210 Frauen und Männer wurden in Wien hingerichtet. „Die Gestapoleitstelle Wien war mit rund 900 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die größte Leitstelle im Deutschen Reich, sogar größer als jene in Berlin.“ Um die 100.000 ÖsterreicherInnen waren dem Widerstand zuzurechnen! Das Buch bringt dichte Fakten, wer noch mehr wissen will, muss selber ins DÖW sich informieren gehen.
„Die Vollstreckung verlief ohne Besonderheiten“, Hinrichtungen in Wien, 1938 bis 1945. Hg. Von Brigitte Bailer, Wolfgang Maderthaner und Kurt Scholz, Mandelbaum Verlag 2013
Ersterscheinung im Augustin, 16. 10. – 29. 10. 2013