postheadericon Schlurfs, Schimmler, Selbstverstümmler: Widerständiges Sandleiten

Wenn die Politik sich nicht aufraffen kann, zukünftigen Generationen den Zusammenhang von Repression und zivilem Ungehorsam in Erinnerung zu rufen, muss die Kunst einspringen; im Falle des „roten“ Sandleitenhofs im 16. Bezirk taten das die Engagierten rund um das SOHO IN OTTAKRING-Projekt.

Foto: Chris Gangl

Kein Denkmal in der riesigen Gemeindewohnanlage aus den 1920er Jahren erinnert beispielsweise an die zwanzig jüdischen Menschen, die 1938 ihre Wohnungen verlassen mussten. Auch im Kongressbad gibt es keine Hommage an die hingerichteten jugendlichen Deserteure. Eine Tafel für den Widerstandskämpfer Heinrich Klein ist immerhin in Planung. Innerhalb von zwei Wochen mussten die Zwanzig im August 1938 ihre Sozialwohnungen verlassen. Emil Libesny, Klavierstimmer, Rudolf Spielmann, Steindrucker, Hermann Ratyn, Schriftsetzer… Kündigungsgrund nach den Akten des Bezirksgerichtes Hernals: Nichtarier. „Der Angeklagte ist schuldig, die Wohnung zu übergeben“, schrieb das Gericht. Marie Spielmann, die Tochter von Rudolf Spielmann protestierte: Ihr Vater sei Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen und leide an den Kriegsverletzungen. Es nutzte nichts. Siegmund Feldmar, Schuhmachermeister, Erwin Adler, Kaufmann. Die Geschäftsfrau Margarethe Gorbulsky schickte ihre Einwände an die Behörde: Ihr Mann erblindete nach dem Kriegsdienst und Flecktyphus vollständig. „Ich selbst bin derzeit im achten Monat schwanger. Wir haben die Ausreise vorbereitet“. Das Kündigungsschreiben an David Klein aus der Gomperzgasse 1-7, Stiege 2, Tür 5 konnte nicht zugestellt werden, da er sich in Dachau befindet. Auch der Ledergalanteriearbeiter Karl Freud und sein Vater endeten nach der Delogierung in Dachau.

„Ich wollte etwas gut machen“, sagt Liliane Roubicek, die im „zweiten Teil“ des Sandleitenhofes aufwuchs. Sie spricht bewusst nicht von „Wiedergutmachung“. Die 23jährige Lilly heiratete, ohne sich mit jemanden zu besprechen, den Auschwitz- und Todesmarsch nach Buchenwald-Überlebenden Fritz Roubicek. Vor dem Park Cafe stellte die Mutter ihrer Schulfreundin Jutta Vitek ihr den ehemaligen Schwimmer und Ringer vom Sportverein Hakoah vor. „Jutta und ihre Mutter waren in einem Lager gewesen, vermutlich in Ravensbück, sie hatten einen englischen Fallschirmjäger in Sandleiten versteckt.“ Nun lebten Anni und Jutta Vitek oben am Wilhelminenberg im Lager für die Rückkehrenden aus den Konzentrationslagern, einem Auffanglager für alle Menschen ohne Unterkunft – wahrscheinlich einem Displaced Persons Lager. So wie Fritz Roubicek, dessen gesamte Familie „in Minsk in die Grube geschmissen“ worden war. „Seine Geschichte hat mich erschüttert. Ich habe mich sehr bemüht, ich war ja nicht schuld, ich habe aber immer wollen etwas gut machen“, sagt Liliane Roubicek heute. Und nach einer Pause. „Man kann es nicht gut machen. Ich fühlte mich persönlich auch nie schuldig.“

 

Tote Schimmler im Kongressbad

NS-Deserteure wurden „Schimmler“ genannt: „Der ist schimmeln gegangen“, hieß es. In Sandleiten war Alfred Pietsch vor dem Angebot eines Beinbruchs beim Fußballspiel zurück geschreckt, andere nahmen das ambivalente Angebot an: „Im Kongressbad sah einmal ein Gestapo-Mann eine Gruppe von zehn bis fünfzehn Jugendlichen aus Ottakring, die alle auf Urlaub von der Front waren, und sämtlich mit Gipshaxen auf der Liege in der Sonne lagen. Der Gestapo-Mann rief sofort die Polizei, ließ sie verhaften und die wurden alle im Landesgericht hingerichtet. Nur einer der Jungen wurde von den Russen gerettet.“ Im Buch „Republik Konge. Ein Schwimmbad erzählt seine Geschichte“ von Hans Hovorka ist die Liste mit den Namen der Hingerichteten abgedruckt. Der berühmte Heinrich Klein, der viele der Ermordeten persönlich kannte, suchte im „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes“ Urteile des Feld-Kriegsgerichtes gegen 51 Selbstverstümmler aus Ottakring zusammen. 25 wurden hingerichtet.

Foto: Chris GanglHeinrich Klein sei der Held von Ottakring, betont Heli Neuhaus strahlend, als die widerständige Kämpferin in Sandleiten die Ecke des Gemeindebaus herzeigt, an der 1945 die zurückflutenden NS-Soldaten zur Entwaffnung aufgefordert wurden und einen riesigen Gewehreberg hinterließen. „Der Klein Heini brachte mit seinem Fahrrad einen gefälschten Baldur von Schirach-Befehl ins Hauptquartier. Dadurch erreichte er, dass die Hauptkampflinie vom Schafberg und Wilhelminenberg erfolgreich nach vor auf den Gürtel verlegt wurde. So wurden Hernals und Ottakring gerettet.“ Paul Vodicka erzählt, dass er, weil KommunistInnen keine Gemeindebau-Wohnung kriegten, im Barackendorf, dem so genannten „Negerdörfl“, aufwuchs. Dort gab es einen guten Zusammenhalt. Mit jugendlichen Wehrdienstverweigerern, Schlurfs (nach einem speziellen Tanz benannt) und „Schwererziehbaren“ wurde er zur Strafkompanie nach Zurndorf im Burgenland verlegt. Sein Bruder, der mit einigen Burschen vom „Negerdörfl“ nach Weiden im Burgenland zum Schützengrabenbau einberufen wurde, organisierte einen Aufstand, demzufolge in diesem Abschnitt der Bau eingestellt wurde.

Beim SOHO IN OTTAKRING-Workshop zu den jüdischen Menschen, die aus Sandleiten vertrieben wurden, kommen schöne Ideen für ein Mahnmal. „Verbinde die Briefe zum Denkmal“, steht auf einem Zettel. Eine junge Frau, deren Opa an Herzinfarkt starb, als seine jüdische Frau deportiert wurde, wünscht sich ein leeres Gipsbein als Skulptur im Kongressbad. Eine ältere Sandleitnerin, deren Tante in Auschwitz vergast wurde, eine Erinnerungsstätte aus 18 Bäumchen am Matteottiplatz und ein 90jähriger Sandleitner, dessen Vater als Schutzbündler im Gefängnis saß, meint, dass ein Mahnmal für die jüdischen Menschen helfen würde – gegen die FPÖlerInnen im Bau.

 

Ersterscheinung im Augustin vom 11. 6. – 24. 6. 2014, FOTOS: Chris Gangl, aus dem Film-Workshop „Flüchtige Landschaften“, mit Beste Erener

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