Nonantola, Lampedusa…
Gut, dass es SchlepperInnen gab.
„Wie sind diese drei Grenzen überwältigt worden? Das war schwierig. Die Flucht der jüdischen Kinder dauerte insgesamt über viereinhalb Jahre!“ Klaus Voigt aus Berlin sprach auf der Wiener Tagung „’Schleppen’, schleusen, helfen. Flucht zwischen Rettung und Ausbeutung“ (Konzept und Koordination Dr. Gabriele Anderl) über die 73 Kinder der Villa Emma in Nonantola/Italien, die von der örtlichen Bevölkerung während des Faschismus versteckt wurden. Die Fluchthelferin Recha Freier brachte die Kinder zunächst mit dem Taxi nach Zagreb: „Es waren viele Schmiergelder im Spiel. Die kroatische Ustascha hatte sich ja den Deutschen an die Brust geschmissen.“ Der Übergang nach Triest war leichter: „So viele Kinder zurückzuweisen, das wollte kein Grenzbeamter auf sich nehmen, zumindest kein italienischer.“ Die gefährlichste Flucht war aber die in die Schweiz. „Dafür waren Schmuggler nötig, denn nur die konnten den Grenzfluss Tresa durchwaten. Die Kinder über 16 wurden zurückgeschickt, die jüngeren ließ man hinein.“ Den jüdischen Fluchthelfer Gofreddo Pacifici verhaftete man an der Grenze und deportierte ihn nach Auschwitz. 130 Kinder, 90 davon aus Wien, wurden bei einer anderen Kinderflucht an der Grenze von den Schmugglern im Stich gelassen und saßen im Schnee, bis die Zagreber Polizei sie verhaftete.
Die örtliche Trennung des Fluchthilfe-Kongresses in einen der NS-Zeit gewidmeten Teil (Akademie der bildenden Künste), und einen aktuellen Teil (Gartenbaukino) tat der Übersichtlichkeit gut. Bei den Vorträgen fiel auf, wie schön und wissenschaftlich die Vorträge über die NS-Flüchtlinge ausfallen und wie fragmentarisch und engagiert dagegen diejenigen über die heutige Zeit. Man konnte richtig ungeduldig mit beiden Seiten werden. Doch in manchen Momenten brach die angeblich schon so abgeschlossene und beforschte NS-Zeit auf. Wenn z. B. die Tochter eines Bootsflüchtlings aus der NS-Zeit beim Film „Keine Insel“ von Fabian Eder über die heutigen Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan, die in Lampedusa stranden, starke Magenschmerzen bekommt…
Ersterscheinung im Augustin, 29. 10. – 11. 11. 2014