postheadericon Klanghaus im Ruhegebiet

Installateure, die „Wasserer“ heißen, tschechische Schlagzeuger, die „Freigeister“ sind, und Kapellmeister, deren Hörraum sich erweitert. Ein Ausflug ins Klanghaus, ein Zentrum für experimentelle Kunst, im steirischen Untergreith.

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„Hast dich wieder erholt vom Urlaub?“, fragt der alte Wirt die Musikerin Mia Zabelka und bindet sich die Küchenschürze um. Im Gasthaus Brand in Gleinstätten an der Grenze zu Slowenien sitzen lauter dunkel gekleidete Menschen an langen Tischen und unterhalten sich freundlich, denn es ist schon der dritte Leichenschmaus diese Woche. Das ganze Dorf ist gekommen. Draußen herrscht der Nebel vor und von der schönen, hügeligen Landschaft ist nichts zu sehen, gerade ist noch die Straße zu erkennen. Der junge Wirt, ebenfalls dekorativ in Schürze gekleidet, schwärmt von einer Dokumentation über Alaska, die er im Fernsehen betrachtet hat: „Nach Alaska will ich auch hin. Oder in die Antarktis. Das mache ich wirklich“.

„Unsere Avantgarde-Musik hört die ganze Gegend“, lacht Mia Zabelka, die das Klanghaus in Untergreith führt, ein Zentrum für experimentelle Musik und intermediale Kunstformen. „Aber in sieben Jahren gab es keine einzige Beschwerde. Dabei ist die experimentelle Musik doch gewöhnungsbedürftig. Alle Nachbarn sind dabei. Am Anfang kamen sie nur aus Höflichkeit, aber jetzt sitzen sie mit geschlossenen Augen und hören zu. Ohne Publikum kann man das ja nicht machen.“ Vier Mal im Jahr gibt es Klangfestivals mit internationalem Charakter. Meistens auf der Wiese, mit den sanft geschwungenen Hügeln im Hintergrund als Kulisse, im Winter jedoch im Klanghaus selbst, einem spanisch wirkenden Landhaus, das innen aus einem einzigen Raum besteht. Dann wird ein Vorhang vor die Küchenzeile gespannt. „In Obergreith führt der Schriftsteller Gerhard Roth das Greithhaus. Er machte den Film ‚Stiller Ozean’ über die Gegend, er interviewte die Leute hier. Hermann Nitsch spielte in der Kirche St. Ulrich zur Eröffnung des Greithhauses“, erzählt Zabelka, deren Familie einst aus Polen nach Wien migrierte und die ganz freiwillig in die Südsteiermark zog. Im Nationalsozialismus wurden einige Familienmitglieder ihres Vaters ermordet. Musiker über Generationen. Zabelka selbst spielt elektrische Geige in der Band „Medusa’s Bed“, gemeinsam mit der Spoken-Word-Künstlerin Lydia Lunch und der Klangwelt-Erbauerin Zahra Mani.

Von Helligkeit und Hörgewohnheiten

„Spielt ihr auch Polka?“, frage ich. „Wir binden schon lokale Musiker ein und machen Kunstaktionen im öffentlichen Raum. Im Sinne von Josef Beuys, dass das Publikum zu Akteuren, zu Mitdarstellern wird. Wir arbeiten auch mit Blasmusik-Kapellen. Bruno Pisek erarbeitete zum Beispiel mit der Blasmusikkapelle St. Ulrich Improvisationen. Am Anfang hatten wir Angst, dass die Dorfbewohner nicht mitmachen, aber auch unsere Kapelle in St. Johann ist sehr offen“, ist die Antwort. Immer wieder kommen Teilnehmer_innen des Leichenschmauses an den Tisch und begrüßen die Musikerinnen. Klassische Bauersleute mit Hut ziehen Erkundigungen ein: „Warum habt ihr euer nächstes Klangfestival erst so spät?“ „Weil es erst im Februar wieder länger hell ist.“ Das Trio Blurb aus London beeindruckte den örtlichen Kapellmeister. „Blurb kommen aus der improvisierten Musik. Ihr abstraktes Spiel auf akustischen Instrumenten öffnete dem Kapellmeister den Zugang zu neuer Musik. Die bringen eine andere Klangsprache mit sich“, wirft Zahra Mani ein, die im Klanghaus Artist in Residence war, in Pakistan Tabla und Sitar lernte und nun eigene Klangkörper baut. „Wie viel habe ich denn getrunken?“, fragt die Frau am Nachbarstisch ihren Mann. Das Nachrechnen dauert lang. Das Essen schmeckt vorzüglich und ist wirklich kostengünstig, zumindest für frustrierte Wien Bewohner_innen. „Die Obersteirer sagen immer ’Wir Untersteirer’“, meint der Wirt, dessen Schwestern Opernsängerinnen in Wien sind und der im Gegensatz zu vielen Kärntner_innen weiß, dass das Gebiet südlich der Grenze ebenfalls Steiermark und Kärnten heißt. Stajerska und Koroska in Slowenien. Hier gibt es keine Karawanken als Grenze, sondern nur Hügel. „Gott schütze unser Haus und die Arbeitskraft meiner Frau“, steht an der Wand und der alte Maurer hat das Bauernhaus, den Stall und das Ferienwohnungen-Haus mit eigenen Händen erbaut. „Vorher stand nur eine hölzerne Keuschen hier“, erklärt die alte Bäuerin. Sie leben in Armut. „Ich habe sowieso keine Rente, weil wir kein Geld hatten, um für mich die Pension einzuzahlen.“ Der Sohn, der in der Nacht ab zwei Uhr früh die Stiegen herauf und herunter gehirscht ist, um nachzuschauen, ob seine trächtigen Schafe schon Lämmer auf die Welt bringen, ist Reifenmonteur gewesen. Schichtarbeiter, und davon blieben ihm chronische Kreuzschmerzen. Nun zeichnet der Arbeitslose gegen seine Ungeduld an und passt mich in der Früh ab, um mir seine auf dem Bett ausgebreiteten Zeichnungen vorzuführen.

Von Opfer-Kaninchen und Airbrush

„Der Hausarzt hat uns beim Vorbeifahren immer mit dem Zeigefinger gedroht, weil wir so viel gemauert haben“, erzählt die Frau. Liebevoll hat sie das Frühstück für den Gast vorbereitet, doch plötzlich hält mir der alte Sohn ein geschlachtetes Kaninchen unter die Nase. In einem Kochtopf, schön sauber vorbereitet. „Jetzt ist ein Schaf zum Kalbeln, äh zum Lampeln“, macht der alte Maurer Smalltalk, der von einem Rosenstrauch am Finger blutet, „mir tun die nachher abstechen“. Eine einzelne rosa Rose blüht noch, direkt vor dem Küchenfenster. Mia Zabelka läßt ihre internationalen Künstler_innen von dem Bauernsohn in seinem selbst mit Airbrush bemalten Audi vom Flughafen abholen. „Wir tun nicht das Landleben romantisieren, sondern es geht um Ruhe, um Verlangsamung der Zeit, was man eben für das Komponieren braucht. Unser Anliegen ist es, Kunst in die Vororte und aufs Land zu bringen, nicht nur in den urbanen Bereich“, sagt sie. „Hier leben Menschen, die auch Kunstzugänge haben, aber andere. Wir wollen die Kunst-Innzucht aufbrechen, den Kunst-Inzest.“

Ersterscheinung im Augustin 7. 1. – 20. 1. 2015

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