Triumphale Behauptung von Normalität
Die Fluchtgeschichte des Hans Kohlseisen nach Irland.
„Und ich reise noch immer“: Das Buch fällt durch seine schöne, spannende Sprache auf und liest sich wie ein Abenteuer. Es sticht in seinen ungewöhnlichen Wendungen hervor unter den Büchern, die Fluchtgeschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus betreffen. Den „besonderen Tonfall, seine zuweilen kecken Formulierungen und seine bemerkenswerten Assoziationen“ wollte Margarete Affenzeller aufzeichnen, die sich als Ghostwriterin (Anm. komisches Wort für die Gespenster des Nationalsozialismus) für den als Jugendlichen nach England geschickten Hans Kohlseisen betätigte.
„Das Buch war ursprünglich als privates Geburtstagsgeschenk gedacht. Über ein Jahr traf ich Hans Kohlseisen jeden Samstag. Seine Kinder wünschten sich, dass sein Leben aufgeschrieben wird“, erzählt Margarete Affenzeller am Telefon. „Von Anfang an wollte Herr Kohlseisen sein Buch ‚Und ich reise noch immer’ nennen, im Sinne von ‚Ich lebe noch immer, ich habe es geschafft’ – in Anbetracht seiner von Verfolgung geprägten Kindheit eine triumphale Behauptung.“ Etwaige romantische Vorstellungen über die Behandlung von Flüchtlings-Kindern schwinden angesichts der Beschreibungen von Einsamkeit und Selbstständigkeit eines 13-Jährigen, der nach Irland weitergeschickt wird, planlos irgendwo abgestellt, von einer Pfarrersköchin im Autobus aufgeklaubt und nach dem Tod des Pfarrers monatelang alleine und verwahrlosend in der Kirche zurückbleibt – irgendwo am Ende der Welt.
Die Lebensgeschichte erhält durch Gabriele Anderls Forschungsarbeit über das Lager Stadlau, in welchem Hans Kohlseisen mehrere Monate zubrachte, einen zeitgeschichtlichen Kontext. Stadlau fungierte – letztlich erfolglos – als sogenanntes Umschulungslager für landwirtschaftliche Arbeit in Paraguay. „Sein Bericht ist für mich einer bewegendsten Beweise dafür, dass es jemand geschafft hat, dem Nazi-Horror zu entkommen und ein, wenn man so will, normales Leben zu führen“, meint die Kulturjournalistin. Bis heute ist dem nunmehr 91-Jährigen nicht ganz geheuer, dass sein Leben jemand anderen interessieren könnte. Und von wegen Reisen: „Nach dem Krieg war Hans Kohlseisen von Beruf Vertreter und traf auf seinen Fahrten durch Ostösterreich viele Nationalsozialisten. Es kam zu unangenehmen Begegnungen.“
Margarete Affenzeller, Gabriele Anderl (Hg.): Und ich reise noch immer. Die Geschichte des Hans Kohlseisen zwischen Gmünd, Stadlau und Irland. Mandelbaum Verlag 2015
Ersterscheinung im Augustin 17. 2. – 1. 3. 2016