Kriegsuntauglicher Max Beckmann
Wie den Tod, wie die Ermordung naher Angehöriger integrieren? Momentan würde man sich wünschen, dass viele Flüchtlinge offiziell kriegsuntauglich sein dürften, ähnlich dem Maler Max Beckmann im Ersten Weltkrieg.
Wie den Krieg und seine Zerstörungen integrieren? Wie den Glauben an die Menschheit wiederherstellen und trotz allem Freude am Leben fördern? „Mir ist ganz recht, dass Krieg ist. Meine Kunst kriegt hier zu fressen“, schrieb der Maler Max Beckmann über den Ersten Weltkrieg. Er hatte sich freiwillig als Sanitäter gemeldet, aber nach eineinhalb Jahren erlitt er einen geistigen und körperlichen Zusammenbruch und wurde kriegsuntauglich geschrieben. Beckmann wurde niedergebeugt vom Zusammenbruch seiner Gewissheiten. „Der Krieg zerstörte etwas in ihm, seine Unschuld vielleicht und mehrere Jahre sehen wir ihn bei dem verzweifelten Versuch sich selbst wieder zu finden. Das verlorene Selbst ist ein falsches, das unbewiesene Selbst“, schrieb die Schwester Wendy Beckett in dem Buch „Die Suche nach dem Ich“. „Seine Art, auf seinem Selbst herumzuharfen, alles am Krieg, außer seinen Farbvaleurs auszublenden, war in Wirklichkeit der verzweifelte Versuch, seine geistige Gesundheit zu bewahren. Hinter der tapferen Brutalität seiner Briefe lauert Angst von fast psychotischen Ausmaßen.“ Achtzig Selbstbildnisse mit viel Schwarz sind die Folge.
Selbstverlust und Leere
An dieses Buch musste ich denken, als ich neulich zufälligerweise die 19-jährige Somalierin kennenlernte, die im Flüchtlingslager Traiskirchen vom dritten Stock sprang, vier Tage im Koma lag und drei Monate im Krankenhaus. Sie überlebte nur knapp. „No good food, no sleep, too much stress and these Afghan guys“, gab sie als Gründe für ihren beinahe erfolgreichen Selbstmord-Versuch an. „This was Austria, not Somalia“, sagte sie und deutete auf ihre genähten Narbenstrecken an den Unterarmen und dem Rücken. An Selbstverlust als Kriegsfolge, an die Leere, das Nichts, nach der Ermordung von Angehörigen dachte sie nicht.
„Nun bin ich darauf gefaßt, wieder ein NICHTS zu werden“, schrieb Max Beckmann über den Zweiten Weltkrieg, der ihn für dreizehn Jahre ins Exil zwang. Er litt an dem Gefühl im Exil, „nicht in der Lage zu sein, sich in der Gesellschaft zu verlieren“. Noch 1946 schreibt er über das „Gelächter der Götter“ und flüchtet sich in eine Verachtung der Götter. „Dass er die Realität, das ganz Andere des Heiligen nicht verstehen konnte, dass der Mensch seine eigene Realität und sein eigenes Heiliges Beckmanns Ansicht nach selbst erschaffen müsse, darunter hat er zeitlebens gelitten“, schreibt Beckett, die in späteren Jahren mit einem Wohnwagen bei den Karmeliterinnen lebte. Die 19-jährige Somalierin zeigte mir auf YouTube ihre fröhlichen Sing- und Tanzfilme. Nachdem ihr Vater ermordet worden war, begann sie als Köchin zu arbeiten, es war Schluss mit der Karriere als Sängerin. Sechs ihrer zehn Brüder wurden ermordet. Wie diese Todes-Erfahrungen integrieren und verarbeiten?
Rüstung und Selbstvergewisserung
„Ein Selbst zu werden, ist der Drang aller wesenlosen Seelen“, schrieb Beckmann, der durch den Ersten Weltkrieg beschädigt, aber nicht gebrochen war. Von nun an hüllte er sich in eine Rüstung. Ein Selbst umfasse „die fast mystische Wahrheit, welche die Person eines Menschen ausmacht“. Künstlerische Techniken und das Schöpferische können der Selbstvergewisserung dienen, doch der Sog des Abgrunds, vor allem wenn nahe Verwandte „dran glauben“ mussten, ist stark. Die Abwehr und Ablehnung der Flüchtlinge durch viele ÖsterreicherInnen, deren Vorfahren den Ersten und Zweiten Weltkrieg durchgestanden haben – in welchen Täter- oder Opfer Ambivalenzen auch immer – kommt sicher aus diesem Wissen heraus. Auf jeden Fall müsste, egal für wen, endlich Täter-Mystifizierung und Heldenverehrung aufhören.
Wendy Beckett: Max Beckmann. Die Suche nach dem Ich. Prestel Verlag, München, New York 1997
Bild: Mostafa Elrhandouri, Maler aus Marokko, lebt in Villach
Ersterscheinung im Augustin, 27. 4. bis 10. 5. 2016