Durch Familien-Recherche Hoffnung schöpfen
Niemand sollte anderen Menschen die Hoffnung nehmen, die sie aus der „Vorfahren-Recherche“ erreichen können. Außer man ist ein Täterkind und doppelt ambivalent. Ein Täterkind will schauen und wieder auch nicht.
Warum ist es so wichtig, seine eigenen Vorfahren zu recherchieren? Oft gibt es Familien-Gerüchte, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, aber nie überprüft wurden. Die im Laufe der Jahre abgeschliffen und verändert wurden. Leerstellen. Obsessionen, Besessenheiten, seltsame Eigenheiten – die sich keiner so richtig erklären kann. Starke Gefühle, die bei kleinstem Anlass plötzlich ausbrechen können, die nicht zur Situation passen.
Es ist wichtig zu wissen, ob ein Verwandter wirklich von den Partisanen ermordet wurde, wie vor kurzem jemand schrieb und wieso und warum. Was die Hintergründe dieser Tat waren. Durch gezieltes Nachfragen fand zum Beispiel eine Kärntner Bekannte aus dem Grenzgebiet heraus, dass ihre Tante auf dem Weg zur Polizei war, als sie erschossen wurde. Die slowenische Familie der Frau war eigentlich Pro-Partisanen eingestellt, doch die Tante war mit einem Mann zusammen, der „von den Deutschen gedreht und dann bei der GESTAPO der Größte“ geworden war. Dieser Mann überredete seine Freundin, die Partisanen-Gruppe in ihrem Wald zu verraten. „Sie wollte eigentlich gar nicht“, erfuhr meine Bekannte von ihrer Mutter, „aber der Mann brachte sie dazu.“
Recherche für Bekannte
Wer die Ermordeten, aber auch die TäterInnen, seiner eigenen Familie nicht recherchiert, dem wird nicht selten ein unerklärlicher Hass übrigbleiben. Wutanfälle. Frei flottierende Gefühle, die dringend an irgendwen angehängt werden müssen. Vielleicht ist es ja auch gar nicht so schlimm, wenn man in die Vergangenheit schaut und zum Beispiel entdeckt, dass schon wer auf der Bühne stand und ein Künstler war? Diese Nachschau in der Vergangenheit kann eine wichtige Ressource für das eigene Leben sein. Manchmal verstellt auch ein Täter den Blick auf andere Verwandten, blockiert die gesamte Vergangenheits-Untersuchung über Generationen mit seiner extremen Ausstrahlung.
Ich persönlich habe auf meinem Schreibtisch einen ganzen Stapel an Informationen von Leuten über deren Vorfahren, die ich recherchieren sollte. Derzeit zum Beispiel einen jenischen Mann, dessen Vater in einem KZ-Nebenlager bei Steyr/Münichholz war. Einen Mann, der 1942 von der Korneuburger Rollfähre verschwand und eventuell mit einer französischen Widerstandskämpferin mitging. Die Uroma und den Uropa eines Bekannten, die aus Deutschland deportiert wurden, habe ich schon gefunden. Nun hat er das Deportations-Datum und den Namen des KZ. Sein Opa konnte flüchten.
Lustvolle Jagd-Gesellschaft
Verdrängung der eigenen Familiengeschichte verbraucht viel Kraft und Energie, über die man im Alter nicht mehr verfügt. Dann ziehen die Krankheiten ein. Manchmal Demenz und Alzheimer. Nicht jede und jeder hat Zugang zu Internet, den Archiven und einer Recherche. Nicht jede und jeder hat die Kraft zu recherchieren. Ich recherchierte einmal für eine Frau ihre in Auschwitz ermordete Tante, die eine Kärntner Bäuerin war. Wir fanden das genaue Sterbedatum und sogar ein Foto. Dieser Fund versöhnte die Frau mit den anstrengenden Eigenheiten ihres Vaters, des Bruders der verschwundenen und ermordeten Frau. Er hatte durch mehrere erstaunliche Zufälle von einer Holocaust-Überlebenden vom Schicksal seiner Schwester erfahren. Die Nichte, die vorher immer in mehreren Schichten bekleidet war und Plastiksackerl mit sich herumschleppte, erinnerte sich plötzlich daran, dass sie als Modeschöpferin gearbeitet hatte. Plötzlich trug sie einen Turban und kleidete sich schön. Sie blühte auf und es hat bis jetzt gehalten. Sie sieht zwanzig Jahre jünger aus.
NazitäterInnen – eine ebenfalls sehr wichtige Aufgabe – habe ich schon lange nicht mehr recherchiert, aber früher nicht wenige österreichische Täter in jugoslawischen Archiven gefunden. Die sicher stark blockierten Nachfahren von Nazi-TäterInnen (vor allem der Waffen-SSler) tragen die Verantwortung, diese Methoden und Inhalte nicht weiterzutragen.
Als der Bruder meiner slowenischen Bekannten dann mit eigenen Recherchen anfing, fand er übrigens heraus, dass der Opa im KZ Dachau gewesen war, wegen Zigaretten-Verstecken für die Partisanen. Die Familie hatte sich am Silo bei der Heu-Verarbeitung nie einen Reim auf die über Generationen weitergegebene familiäre Redewendung „Hier raucht es wie in Dachau“ (slowenisch „v Dochavu“) machen können.
Wer eigene Familien-Recherchen blockiert und lieber Teil einer „lustvollen Jagd-Gesellschaft“ (Klaus Ottomeyer) auf wen auch immer sein will, tut sich selbst nicht Gutes.