Bei den Benjamins: Gas gegen Gas
Allein die Idee war extrem weitsichtig und süß – die Erfindung eines „guten Gases“, das schlechte Gase aus der Stadt oder dem Dorf draußen hält. Nach oben verschafft. In der Schwebe hält, damit sie keinen Schaden anrichten. Im Ersten Weltkrieg waren durch die ersten Gasangriffe in der Geschichte viele Menschen völlig zerrüttet worden. Psychiatrien für die „Kriegszitterer“ entstanden damals. Dora Benjamin schrieb ihren Roman „Gas gegen Gas“ noch vor dem Zweiten Weltkrieg. Sie konnte nicht wissen, wie sehr die Gas-Schäden den jungen Soldaten Adolf Hitler beeindruckt hatten, doch sie sah sehr wohl, welche extremen Auswirkungen diese Kriegswaffe mit sich brachte. Hätte man nur auf sie gehört! Wäre ihr Buch nur ein Bestseller geworden! Aber Dora Benjamin verlor sich laut der Autorin ihrer Biografie in Beziehungsgeschichten, in verflochtene Dreiecke.
Die Biografin Eva Weissweiler gibt ab und an ihre feministischen Kommentare zum Geschehen ab, aus heutiger Sicht formuliert. Aber eine gewisse Interpretationsweise in Richtung starke Frau stimmt ja auch, denn Dora ernährte ihren berühmten Mann Walter Benjamin über Jahrzehnte. Sie gab ihm ein Dach über den Kopf, kümmerte sich um ihn, denn sie war die weitaus Geschäftstüchtigere von beiden. Selber Journalistin und Übersetzerin, gelang es ihr immer wieder, in verschiedenen Ländern des Exils eine Existenz aufzubauen.
Manches in dem neuen Buch zerstört den Mythos des lieben Benjamins, zum Beispiel, wenn man liest, wie schlecht der kleine Sohn Stefan behandelt wurde, während Benjamin seine berühmte „Berliner Kindheit“ schrieb. Dora hatte die Angewohnheit, Briefe im Namen des kleinen Sohnes zu schreiben. Diese sind voller Beschwerden über die Krachs seiner Eltern. Man erhält komplett neue Einblicke in das Leben der Benjamins.
Eva Weissweiler: Das Echo deiner Frage
Dora und Walter Benjamin
Biographie einer Beziehung
Hofmann und Campe 2020
Ersterscheinung im Augustin Nummer 512, 9. 9. – 22. 9. 2020