When she looked
Einen Raum erschaffen, in den man eintreten kann, möchte die Malerin Tess Jaray. Ihre Bilder sind sehr reduziert und geben viel Assoziationsraum.
„Ich habe wenig Erinnerung an meine Kindheit“, sagte die britische Künstlerin Tess Jaray einmal in einem Interview. Doch jetzt, als Jaray das Cottage ihrer Eltern ausräumte, fand sie Kinderzeichnungen, auf denen sie fünfjährig die englische Landschaft dargestellt hatte. Mit lauter Linien in der Gegend: nämlich den dominierenden Hecken, die die Landschaft aufteilten, den Blick lenkten, aber auch einen Rahmen boten. „Vielleicht begann alles damit“, scherzt Jaray im Zoom-Interview und zieht an ihrer Zigarette. Erstmalig ist das Werk der Minimalistin, deren Wiener Eltern vor den Nazis fliehen mussten, in Österreich ausgestellt. Das Baby Räsel war auf der Flucht erst sechs Monate alt.
Ihre Werke sind extrem reduziert und wirken wie Signale, die Farben abgedämpft bis kräftig. In der Secession, die ja ein Faible für reduzierte Kunst hat (vielleicht als Gegensatz zu dem goldenen Klimt im Keller), wirkt die Ausstellung „Return to Vienna: The Paintings of Tess Jaray“ hell und klar. Jaray spannte einmal ein Klebeband auf eine Leinwand, legte Striche und konnte plötzlich sozusagen in das Bild hineinsehen. Mit ihrer Faszination für italienische und später islamische Architektur entwickelte sie einzelne Linien, die für sie aussagekräftig genug sind. Im von der Secession erstellten Künstlerbuch sieht man aber, wie viele wunderschöne Architekturzeichnungen dahinter stecken, bis sie zu ihrer reduzierten Form findet. Jarays Großeltern auf beiden Seiten und ihr tauber Onkel, der Möbeldesigner war, wurden im KZ ermordet. Auf der Straße merkt man dann, wie die Ausstellung nachwirkt, man sieht plötzlich Muster und Strukturen von Gebäuden.
Ersterscheinung im Augustin, 24. 2. – 9. 3. 2021
Fotos: © Oliver Ottenschläger