postheadericon Whiteread: Das Luft-Anhalten, das Nicht-Atmen-Dürfen

Rachel Whiteread, Untitled (Clear Torso), 1993

Im 21er Haus am zugigen Hauptbahnhof werden die Arbeiten der britischen Bildhauerin Rachel Whiteread gezeigt. Die Entwürfe für ihr Mahnmal am Judenplatz sind auch dabei. Nur noch bis 29. Juli.

 

Damals war es eine fürchterliche Aufregung. Ohne Simon Wiesenthal würde es das Mahnmal von Rachel Whiteread am Wiener Judenplatz wohl gar nicht geben. Der kämpferische Überlebende Simon Wiesenthal hatte 1994 gegen Hrdlickas Mahnmal gegen Krieg und Faschismus protestiert, an dem er dessen jüdische Figur als „Fortschreibung der Demütigung“ interpretierte. Der Auftrag für eine eigenständiges Mahnmal gegen die Shoah war daher, ein nicht figürliches Mahnmal zu bauen. Die internationale Jury entschied sich 1996 für die britische Künstlerin Rachel Whiteread, die damals noch sehr jung und eher unbekannt war. Doch die ganze Debatte dauerte sehr lange, bis Herbst 2000, denn Teile der jüdischen Gemeinde wollten lieber die alte Synagoge freilegen und von oben her zugänglich machen. Die Lösung, dass die Synagoge nun vom Museum aus zugänglich ist, ist aber auch sehr schön. Die Synagoge wirkt wie aus der Erde herausgeschält und hat etwas altes Mystisches, Kompaktes, das am hellen Tageslicht nicht so gut zu erkennen wäre.

Einbetonierte Luft

Rachel Whiteread hatte ein leerstehendes, verlassenes Haus in London von innen her ausbetoniert (House, 1993). Und so die Menschenspuren sichtbar gemacht, verschwundene Menschen visualisiert – eine beklemmende, atemberaubende Arbeit, die aber auch irgendetwas Tröstliches hat. Es folgten der Raum unter Stühlen und unter Tischen, eine Art Gegenraum zu den realen Gegenständen. Sie meinte, sie hätte sich als Kind im Kleiderschrank versteckt – Luft in einem Schrank, als Beton sichtbar geworden. Auch wenn Wiesenthal selbst Architekt war und seine Ausbildung wegen den Nazis abbrechen muste, bleibt es erstaunlich, dass er sich für so ein modernes, abstraktes Mahnmal einsetzte. Doch es fing für ihn wohl genau die Beklemmung und die Trauer ein, das Nicht-Atmen-Können, das Luftanhalten, das Nicht-Atmen-Dürfen, das Nicht-Leben-Dürfen. „Das Denkmal könne“, meinte Wiesenthal damals, „kein jüdisches Denkmal, es müsse ein österreichisches sein. Schließlich haben sich die Juden ja nicht selbst umgebracht.“

Rachel Whiteread, „Chicken Shed“, 2017

Im 21er Haus sind nun legendäre Arbeiten Whitereads zu sehen. Wie die bunten Räume unter Sesseln, „Untitled (Twenty Five Spaces) 1995“ oder die wunderschöne „Badewanne“ ohne Funktion, „Untitled (Yellow Bath)“ 1996. Mit der Geburt ihrer Kinder tauchten Farben in ihren Arbeiten auf, ein Umstand, den sie nicht mehr infrage stellen möchte, der sie aber verwunderte. Ihre Arbeiten im öffentlichen Raum und ihr Atelier sind im Katalog zu besichtigen. Statt der ehemaligen freischwebenden Holztreppe im 20er Haus ist nun Whitereads Betonierung der Unterräume einer Treppe, die ins Nichts führt – „Untitled (Stairs) 2001, bzw. „Untitled (Domestic) 2002“ – zu bewundern. Mit einer geisterähnlichen Ausstrahlung. Lauter „Ghosts“.

 

Ersterscheinung im Augustin, April 2018

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