Mamadou Diabate: „Ich spiele nicht mit dieser Eins“
Der großartige Balaphon-Spieler Mamadou Diabate lebt seit über einem Jahrzehnt in Österreich und gewann im Dezember den „Austrian World Music Award 2011“. Der überaus umtriebige Musiker erklärt die unterschiedlichen sozialen Traditionen und Hintergründe in seiner Musik und stellt Verbindungen zwischen Sprache und Musik her.
Wie würden Sie ein Balaphon charakterisieren?
Ein Balaphon ist ein westafrikanisches Instrument, mit dem Melodie und Rhythmus zugleich gespielt werden. Europa sah das Balaphon und baute nach diesem das Marimabaphon. Das ist lange her. Es gibt unterschiedliche Balaphone, die sprechen jeweils verschiedene Sprachen. Ich spreche mit dem Balaphon meine Sprache. Ich bin Sambla, mein Balaphon ist ein Sambla-Balaphon. Und der Rhythmus, den ich spiele, folgt der Sambla-Sprache.
Wie wurde das Balaphon ihr Lieblingsinstrument?
Balaphon ist überhaupt mein erstes Instrument. Meine Familie ist eine Musiker-Familie und ich begann bereits mit vier Jahren Balaphon zu lernen. Wir hatten viele Instrumente zu Hause. In Europa baut man auch kleine Xylophone für Kinder, in Burkina Faso spielen die Kinder auf den großen Instrumenten. Der Vater sagte immer, die Kinder müssen ein Instrument lernen. Nicht jeder Afrikaner ist Musiker (lacht), aber es gibt Familien, in der sind eben alle Musiker. (Anm.: Das sind die Griots, eine Jahrtausende altes Künstlergeneration von MusikerInnen und andern Überlieferern von kulturellen Traditionen.) Ein Kind aus so einer Familie muss dieses Instrument lernen. Muss. Es gibt einen großen Kampf, weil das Kind lieber mit seinen Freunden spielen will und der Vater kann auch schlagen. Ab fünf Jahren begleitete ich meine Eltern auf dem Balaphon, wenn sie bei Hochzeiten spielten. Meine Mutter sang, sie war auch Musikerin.
Und Ihre Schwestern lernten ebenfalls Instrumente?
Alle meine Brüder sind Musiker, die paar Schwestern sind nur Sängerinnen oder Tänzerinnen. Nur eine Schwester lernte heimlich alleine unser Instrument – es ist nicht verboten, aber die Frauen müssen eher singen oder tanzen. Aber sie hat es einfach gemacht. Ich habe die Djembe erst mit 20 Jahren gelernt, aber nicht von meiner Familie. Ich war überhaupt die erste Person in unserer Familie, die Djembe gelernt hat. Meine Familie konnte weder Kora noch Ngoni spielen. Alle diese Instrumente habe ich später von anderen Musikern gelernt. Die Djembe kommen nicht aus Burkina Faso, sondern sind das traditionelle Instrument von Guinea con Acry.
Wie kommt es, dass gerade Balaphon in Burkina Faso so beliebt ist?
Bei jeder Taufe oder Hochzeit wurde Balaphon gespielt. Es besteht aus unterschiedlichen Kürbissen und aus Holz – das ist ein sehr hartes Holz, das findet man nur selten. Dieses Holz gibt es aber auch in Mali oder Guinea. Der Baum heißt Gende, aber den Namen gibt es weder auf Französisch noch auf Deutsch. Ich baue meine Instrumente selber. Der Vater baute auch alle seine Balaphone selber.
Was bedeutet es eigentlich ein Griot zu sein?
In der Person eines Griot steckt ein Geschichten Erzähler. Ich bin ein Musiker-Griot. Früher gab es bei uns weder Zeitungen noch Bücher, aber die mündlich überlieferten Geschichten, die schon über 3000 bis 5000 Jahre alt sind, die über Generationen hinweg erzählt werden, vergisst man nicht. Diese Erzählungen können unterschiedliche Versionen haben, in der Mitte geht es manchmal plötzlich anders weiter. Genauso wie bei der Geschichte, wie das Balaphon in die Welt kam. Der Beginn ist immer gleich: Das Balaphon kam über einen Jäger nach Westafrika. In Afrika arbeiten die Leute auf den Feldern, sie bauen Lebensmittel an, Mais, Tomaten… Aber dieser Jäger arbeitete nicht, er war nur im Wald unterwegs um Tiere schießen. Die Leute glaubten, er sei ein bisschen verrückt, denn er tat nichts, er hat gerne geweint und er war immer schmutzig. Einmal traf dieser Jäger nun einen Geist im Wald. Der Geist sprach mit ihm und nahm seinen Kopf ein, er lehrte ihn jahrelang, wie man das Instrument bauen und wie man es spielen kann. Einmal brachte der Jäger dieses Instrument mit nach Hause. Die Leute sagten, er hat jetzt ein verrücktes Bett gemacht. Niemand wusste, dass das ein Instrument war, diese zusammen gebauten Kürbisse auf dem Boden. Wie hat man nun das Balaphon gespielt? Über Singen. In dieser Zeit gab es keinerlei Instrumente und die Leute sangen einfach so, eher die Frauen über ihre Lieblingsmänner oder ihr Lieblingsessen. Wenn die Kinder sangen, versuchte der Jäger das nun nachzuspielen. So entstanden die ersten Stücke. Und diese Musik wurde immer wichtiger, bis das Balaphon das National-Instrument wurde. Also das ist jetzt nur die kürzeste Version der Geschichte. Diese Geschichte kann man bis morgen erzählen, die ist nie fertig. Ich weiß, dass das 1000prozentig so war (lacht).
Sind diese Geister-Geschichten auch religiös motiviert?
Nein, in dieser Zeit gab es keine Religion, dieser Geist war von keiner Fraktion (lacht) – ein „etoile d’espirit“. Es gab damals kein Extra Land, kein Mali, kein Guinea, keine nationalen Grenzen – das ganze Westafrika zusammen hieß Manden, bevor die Europäer kamen. Es gibt immer noch eine Sprache die Mandengaka heißt, in Burkina, Mali und Gambia ist die gleich. Bambara in Mali ist ein ähnlicher Dialekt, der kommt auch aus dieser alten Sprache. Wir verstehen uns alle. Jetzt kann man die aufschreiben, sie ist verschriftlicht.
Es gibt ja in der westafrikanischen Musik keine Tradition, Noten aufzuschreiben, oder?
Das ist deswegen, weil die Musik total von der Sprache kommt und von ihr abhängig ist, sie spricht mit Rhythmus. Man braucht keine Noten. Sie z.B. sprechen deutsch und Sie brauchen keinerlei Noten, um deutsch zu sprechen. Sie sprechen einfach wie Sie spielen würden. Die Sprache ist genau wie ein Instrument. Für meine eigenen Kompositionen verwende ich jetzt auch Noten, denn wenn ich mit Personen aus anderen Kulturen zusammen spiele, brauche ich diese gemeinsame Verbindung. Unsere ganzen traditionellen Stücke kann man schon aufschreiben, aber niemand kann so einfach danach spielen. Du musst vorher die Sprache lernen. Wenn du in einer gewissen Sprache nicht einmal sagen kannst „komm her“ und das muss genau diese Phrase sein, kann das jemand schlecht auf Klavier oder Saxophon nachspielen, wenn er die Sprache nicht kennt. Du musst genau wissen, wie die Sprache funktioniert. Noten sind schwierig oder unlebendig.
Die anderen Instrumente entstanden also später? In Österreich spielen die Jäger Horn oder Trompete…
Kora und Ngoni kamen später als das Balaphon. Die Ngoni war eine Version der Musikinstrumente von Jägern. Heutzutage gibt es drei verschiedene. Kamerlin Ngoni heißt die, die ich spiele. Die Jäger gehen, wie ich gehört habe, mit diesen Instrumenten in den Wald und wenn es zu heiß ist und die Tiere schlafen, spielen sie einfach ein bißchen die Ngoni, niemand spricht und die Tiere hören das und stehen auf. Oder die Jäger kommen aus dem Wald und tanzen auf einem Fest ein Griot. In Österreich zeigen die Leute in einer anderen Version, dass sie stark sind. Sie kaufen ein großes Auto und die Leute wissen, was dieser Renault oder Audi kostet.
Wie würden Sie Ihre Musikrichtung definieren?
Ich spiele traditionelle Volksmusik von Burkina Faso. Wir haben 75 verschiedene Sprachen, plus die ganzen Dialekte. Es gibt mehr als zwölf Balaphon-Sprachen für und mit all diesen Sprachen. Das nationale Balaphon für ganz Burkina Faso heißt Dioula Balaphon. Dioula ist die Sprache. Jeder versteht dieses Balaphon in Burkina Faso, jeder kann das tanzen. Dann gibt es das zweite Balaphon über und von diesem Sambla-Volk, das kann ich spielen. Nur Sambla-Leute verstehen dieses Balaphon und können das tanzen. Es gibt 15.000 bis 30.000 Sambla in Burkina. Das dritte ist das Tussia Balaphon, Tussia ist auch eine Sprache, dann gibt es noch Lubi und …(zählt einige auf). Aber das internationale Balaphon, das auch in Mali und in der Elfenbeinküste gespielt wird, ist die Dioula.
Was meinen Sie mit einer Sprache in der Musik? Ich kann z.B. nicht russisch und russisch klingt für mich wie eine Melodie?
Wenn ein Russe mein Balaphon spielt, klingt es ganz anders – russisch eben. Denn der Russe spielt in seiner Sprache… Seit zehn Jahren lebe ich nun in Österreich und ich spiele nicht nur meine Volksmusik. Ich mache meine eigenen Kompositionen, um mit anderen Jazz Musikern zusammen zu spielen. Ich will aber, um mein Sambla-Volk zu unterstützen, weiterhin auch diese Art der Musik machen. Ich bin jedes Jahr zwei, dreimal in Burkina. Bei uns gibt es keine Improvisation auf diese Musik-Sprache, die verändert sich nicht. Also kann ich nicht den Anschluss verlieren. Ich bin kein Geschichten-Erzähler, ich erfinde keine neuen, ich erzähle nur nach. Oft kommen Leute zu einem Griot und sagen ihm nur den Titel eines Liedes und er weiß dann, in welcher Geschichte dieses Lied steckt. Es ist so ähnlich wie hier die Stücke von Mozart oder Bach, die sind ganz fix. Nur die Kinder erfinden immer neue Songs, aber die sind nicht so wichtig in den traditionellen Liedern. Wenn es ein freies Fest gibt und die Kinder tanzen, wollen die nur diese „Freie Fest Stücke“ spielen. Wir haben mehr als 3000 traditionelle Lieder und um die 10.000 „Freie Fest Lieder“ – aber die sind nicht aufgeschrieben.
Wenn ein Kind ein traditionelles Lied spielt, kriegt es doch Lust, etwas dazu zu spielen, zu erfinden?
Bei uns kann man diese Lieder nicht einfach anders spielen (lacht). Du kannst schon gut spielen und du kannst dann noch was dazu spielen? Nein, das geht nicht. Die Lieder bleiben so wie sie sind.
Wegen dem Preis, den Sie gewonnen haben: Was verstehen Sie unter World Music?
Der Begriff „World Musik“ kann viel Verschiedenes bedeuten, es ist ähnlich wie mit dem Denken. Richtige World Musik ist es für mich, wenn sich zwei, drei, vier Kulturen treffen und mischen, da kommt nicht mehr irgendeine traditionelle Musik von irgendwo – es ist die ganze Welt. Ich komme aus Burkina, mein Bass Spieler aus Kolumbien – das ist geografisch sehr weit auseinander, wir verstehen uns nicht von der Sprache her. Die Traditionen sind völlig unterschiedlich. Er spricht ganz anders. In meinen Kompositionen ist meine Sprache immer dabei. Wir versuchen zusammen zu arbeiten, eine andere Komposition zu machen und dann kann man nicht mehr sagen, das ist Musik aus Kolumbien oder Burkina Faso – das ist dann eine World Musik und das ist gut so.
Manchmal wird „World Music“ mit so kleinen nationalen oder sogar nationalistischen Teilen gemacht, damit die Zuschauer die Einzelteile erkennen können und danach tanzen. Wie macht man Musik, dass sie transkulturell wird?
Wenn ein Österreicher nur traditionell spielt, kann ich nicht mitspielen und umgekehrt, also ist es besser, etwas gemeinsam zu schaffen. Es gibt keinen anderen Namen als „World Music“ dafür, wenn mehrere Traditionen zusammen kommen. Wenn es ganz ohne Tradition sein soll, bin ich nicht mehr dabei.
Wie sehen Sie den Unterschied zu Jazz?
Ich bin kein Jazz Musiker, auch wenn ich immer mit Jazz Musikern spiele. Wo kommt der Jazz her? Ich kenne nur einen kleinen Teil, aber Jazz kommt doch aus Afrika. Jazz kommt aus Nigeria und Ghana. Der Jazz flog an Europa vorbei nach Amerika. Die Sklaven gingen nach Amerika und machten trotzdem ihre Musik aus Afrika. Aus Amerika kam der Jazz dann nach Europa. Blues kommt auch aus Afrika.
Wie geht das denn mit dem Sechs-Achtel-Rhythmus und den Triolen zusammen?
Ich mache das mit meinem Gefühl, ich weiß genau, in welchem TikTak ich spiele und ich frage nicht, sind das sechs Achteln oder so – das gibt es nicht in Afrika. Wir spielen einfach den Rhythmus. Am Anfang fragten mich die Leute in Österreich, wo ist die Eins in dem Stück? Es war unglaublich. In Burkina Faso brauchen wir das nicht. Niemand fragt, wo ist die Eins in Afrika (lacht)! So haben die Österreicher das eben gelernt, es ist nicht schlecht. Ich spiele nicht mit dieser Eins. Ich spiele manchmal mit europäischen Musikern zusammen, die sind super, aber sie denken eine andere Eins, und dann spiele ich nicht so auf diese Eins. Aber wenn wir die Wahrheit sagen: Eventuell denken sie, ich spiele Offbeat. Wir spielen nicht auf dieses Tempo, aber wir kennen das schon. Es gibt keine Grenzen für die Musik, jeder kann zu einem Rhythmus etwas beitragen – aber es muss zusammen passen. Wenn eine Person ein Solo spielt und die geht hinaus und kommt zurück – die hat keine Zeit zu zählen. In der klassischen Musik ist das so mit den Takten und 1, 2, 3, 4. Aber vier Takte sind zu kurz (lacht) – ich werde nie so spielen, nie! Jazz Musiker kommen oft aus der Klassik, die sind dann keine Klassiker mehr, trotzdem behält der seinen Klassik-Kopf. (lacht)
Ersterscheinung: Music Information Center Austria (MICA) vom 16.12. 2011