Franz Hautzinger: Das Gegenteil vom Trompeten-Tütü
Franz Hautzingers Weg vom Musikantenstadl zur Avantgarde: Er könnte auch mit einem Luftballon Musik machen, aber zum Glück muss er nicht. Mit seinen Andeutungen, Antönungen, Anflügen revolutionierte Hautzinger nicht nur den Trompetenklang, sondern er fühlte sich auch noch als Trompeter, als ihn eine Lähmung der Oberlippe jahrzehntelang zwang, halbe Töne als Geschenk zu nehmen.
Wie hast du diese Lähmung in deiner Oberlippe bemerkt? Hast du dann plötzlich gar nicht mehr spielen können?
Meine Arbeit war das Trompete-Üben. Der Anfang vom Ende begann, als ich mit 18 Jahren zum Studium nach Graz kam und sah, dass man ordentlich üben muss. Wir haben den ganzen Tag und die ganze Nacht geübt und abends auch noch gespielt. Aus jetziger Sicht wäre es ganz einfach gewesen, mein Schicksal zu verändern, indem man mir beigebracht hätte, wie man Trompete spielt, wie das funktioniert. Es ist eine Technik, die für Kinder oder Jugendliche nicht schwer ist. Meine Lehrer sahen leider nicht, dass meine Atemtechnik völlig inexistent war. Drei Jahre lang spielte ich immer auf meiner Lippe. Und da ich sehr fleißig war, habe ich eben jeden Tag gespielt, bis kein Ton mehr heraus kam. Es gab einen Punkt, an dem ich im letzten Stück von einem Konzert auf der Bühne keinen Ton mehr herausbrachte. Ich dachte, die Trompete hat ein Loch. Irgendwo ist etwas kaputt. Bis ich merkte, dass die Lippe keine Spannung erzeugte. Bei Blechbläsern funktioniert das oft, dass man einen Tag weniger macht – im Winter sind die Muskeln nicht so aufgewärmt. Ich dachte, ich mache jetzt zwei Tage Pause, aber dann merkte ich, das geht nicht. Die Oberlippe war gelähmt. Ich mußte Konzerte absagen. Immer mehr wurde mir klar, das ist etwas Stärkeres, Größeres, was außerhalb meiner Vorstellungskraft liegt. Irgendwann mit 20, 21 Jahren war mir klar: Ich war einmal Trompeter.
Doch du bliebst einer?
Intuitiv war mir klar, die Trompete ist ein Tool für das ganze Leben. Das hat sich auch nie verändert trotz aller Schwierigkeiten. Die Medizin konnte mir nicht helfen. Niemand konnte etwas feststellen. Die Ärzte sagten viele Sätze, aber der Beste war der eines Psychologen: Ist es normal, dass ein Mensch ein Drittel seines ganzes Leben hinter einem Stück Metall verbringt? Mit einem Stück Metall im Mund? Die Lähmung hat mir auch geholfen. Denn meine ursprüngliche Idee war, ein Zirkustrompeter zu werden, schnell und hoch und laut und macho-mäßig. Eine Art von Naivität dem Leben gegenüber hat mir geholfen, die Krise zu überwinden: die Aufregung, was kommt morgen, die Ahnung, jede Sekunde könne sich alles ändern. Als ganz Kleiner hatte ich die Vorstellung, ich werde eine Indianerin heiraten und weggehen. Ich wollte immer raus, obwohl ich keinen Grund hatte. Ich verließ mein Zuhause aus Interesse an der Aufregung des Lebens, der Welt, des Seins. Mit elf Jahren kriegte ich im katholischen Internat eine Trompete. Und das kam so: Im Internat gab es ein Musikzimmer. Ein Lehrer und unser Haupterzieher, der Musiker Julius Koller – der ist jetzt Landesschulinspektor im Burgenland – öffnete uns ein Kammerl, in dem die k. & k. Blasinstrumente gelagert waren, und da stand ein grauer Koffer mit einer goldenen Trompete. Koller hat mir den Koffer aufgemacht.
Du konntest deine Spielblockade mit der CD „Gomberg“ überwinden und 20 Jahre später eine eigene Spielweise erfinden. Wie war das?
Nach ein paar Jahren Qual (lacht) konnte ich ein bißchen spielen, ich schrieb viel kommerzielle Tanzmusik, komponierte aber auch Jazz, bin 1986 nach Wien gezogen und machte am Konservatorium mit Komposition weiter.
Mein Lehrer in Graz hatte mir geraten, mit der Trompete aufzuhören und stattdessen Schrauben zu verkaufen. Wirklich schlimm war nicht die Tatsache, dass ich nicht mehr spielen konnte. Ich war nicht mehr Trompeter, meine Identität war verloren. Ich war damals in einem Kreis von vielen Musikern, der jede Woche kleiner wurde – am Ende blieben ein, zwei Freunde übrig. Irgendwann war ich dann allein, was auch gut war, ich hatte ja jetzt Zeit, eine Lösung zu finden, und es hat auch wirklich fast 20 Jahre gedauert. Ab 1986 habe ich dann echt studiert beim Hans Schadek. Ich schrieb genug Musik für den Musikantenstadl, ich war eineinhalb Jahre in der Bierzelt-Kommerz Musik. Davon konnte ich leben. Nebenbei schrieb ich avantgardistischen Jazz. Ein Bierzelt und experimenteller Jazz sind nicht zu vergleichen… (lacht). Ich war damals bei „Nouvelle Cousine“. Meine Lippe war so halb erholt, ich konnte wieder wie ein Anfänger spielen, zwei Töne. Ich freute mich und war zu der Zeit sehr demütig. Ich wußte, es ist null und von null weg ist jeder Ton ein Geschenk, und so ist es auch geblieben. Irgendwann in den 90ern war ich ein Jahr in England, doch schon und zuvor war ich schon bei den Avantgardisten hier im Lande angekommen. Zu der Zeit fing ich auch an Komposition an der Musikuniversität zu unterrichten.
Mich interessiert besonders die neue Musikform, die du dir ausgedacht hast. Wie bist du darauf gekommen?
Es zog mich immer mehr zum Experimentellen. Es hat nicht lange gedauert, bis ich auch mein Spielen, meine Vorstellung völlig umgekrempelt hatte und dann mit Helge Hinteregger sehr dicht und zehn Jahre lang arbeitete. Das Duo hieß ZOSB. Ich war aufmerksam, was Improviser im Jazz Bereich machen. Ein Satz bestimmte dann meine Arbeit: „Das Gegenteil ist für mich interessant.“ Das Gegenteil von allem. Ein Jahr lang mit dem Gegenteil, was ist das Gegenteil von Blau, was ist das Gegenteil von gut usw… Dadurch kam ich zu einer Trompetentechnik, die nicht konventionell war, nicht auf Fanfare und Militär und das ganze Tütü abfuhr, sondern ich fand eine Musik, die schräg und abstrakt war. Wenn man der Trompete den Ton weg nimmt, bleibt noch eine Fülle von Geräuschen, Klängen und Möglichkeiten; ich rutschte hinein und merkte, dass ich an meinem Gegenteil arbeite. Das Gegenteil von null ist nicht null. Was ist es? Die Frage wurde natürlich nie beantwortet, aber sie ist höchst aufregend. Dann habe ich aufgenommen und aufgenommen… und 2000 kam eine CD heraus, die „Gomberg“ hieß. Als die CD auf dem deutschen Label Grob erschien, war die in einem halben Jahr durch die ganze Welt, durch alle Papers, und ich war erstaunt (lacht), dass ich auf der anderen Seite des Erdballs bekannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt gab keine Trompete, die so klang. So radikal und mit klarer Spieltechnik. Es gefiel den Leuten, dass sämtliche Klänge und Töne immer mit einem Geräusch-Panorama aufgenommen wurden. Und zwar unabsichtlich natürlich. Egal wo ich war, ich habe immer aufgenommen. In Indien, auf Reisen auf der ganzen Welt; es gibt ganz selten Räume, in denen es still ist. Man dachte immer, dass ich mit Elektrotechnik arbeite, das war mir lange nicht bewusst. Erst später wurde vielen klar, dass das eine Trompetenspieltechnik ist. Das ermöglichte mir Zugang zur europäischen und globalen avantgardistischen Experimental-Szene.
Wie wäre es für dich, wenn sich die Lippe wieder verändert, so dass diese Spielweise nicht mehr möglich ist?
Diese Spieltechnik war geprägt von Aufwärm- und Entspannungstechnik (macht es vor), und dadurch regenerierte sich meine Lippe, und dann kam als Super Geschenk, als Extrabonus mein Orginalton daher. Ich kämpfe zwei Jahre lang um einen Halbton. Das ist mein Leben und meine Arbeit. Wenn man dabei bleibt, geht es über das Atmen – dieses ständige
Hyper-Ventilieren! Alle Bläser sind Luft-Junkies (lacht)! Alle! Drei Stunden voll Luft geben bei einem Konzert, dann weißt du, was das mit dir macht – und das dein ganzes Leben lang! Wenn ein Blechbläser vier Tage nicht übt, wenn ein kalter Wind geht, dann fängt man wieder von vorne an. Beim Blech besteht eine lebenslange Abhängigkeit vom Üben. Mein Leben besteht nicht nur aus Trompetespielen, obwohl ich die meiste Zeit damit verbringe und mir Musik ausdenke. In letzter Zeit bin ich sehr viel mit Filmmusik in Verbindung. Ich suche im Prinzip jedes künstlerische Risiko.
Franz Hautzinger spielt bei der Eröffnung der Ausstellung „Fluchtlinien. Kunst und Trauma“ zu einer Performance von Kazuko Kurosaki, SOHO
IN OTTAKRING, 16. Mai 2012, Alte Schieberkammer am Wiener Meiselmarkt
Erschienen im Augustin 21. 3. – 3. 4. 2012