Tapfuma Gutsa: „Mami Wata ist zornig“
Wassergeister transportieren die Seelen Ertrunkener zurück nach Afrika: Kunst zu Bootsflüchtlingen, die im Meer ertrinken, erhängte Spanier, die Francisco de Goya zeichnete oder Picassos Guernica – wenn ein Künstler politische Kunst machen will, soll man ihn lassen, meint Tapfuma Gutsa. Der international bekannte Bildhauer, der auf der letzten Biennale in Venedig ausstellte, würde gerne Kunst in Flüchtlingsheimen machen, weil dort „unglaublich intelligente und verrückte Köpfe sitzen“. Die Arbeit ist noch einschließlich Samstag in Wien zu sehen.
Deine Installation „Mukodombera deluge/ Swimmers“ zu den Flüchtlingen, die mit dem Boot aus Afrika nach Europa kommen, ist sehr beeindruckend. Was wolltest du mit der vielteiligen Skulptur* ausdrücken?
Die meisten der Bootsflüchtlinge, der „boat people“, kommen aus Westafrika. Dort gibt es den Glauben und Legenden, dass in den Flüssen Wassergeister leben, die „Mami Wata“ genannt werden. Mami Wata ist ein ambivalenter Geist, der den Menschen Gutes bringt, aber wenn der Fluss Leute mit nimmt, sagen die Dorfbewohner, Mami Wata ist zornig. In den Legenden muss es eine Verbindung zu den Meerjungfrauen Europas geben. Ich benutze die inneren Bilder in bezug auf diese Geister und gestalte einen Umzug der Wassergeister. Auf eine Weise ist es eine Re-Patriasierung der Seelen, die afrikanische Menschen im Meer verloren haben, ein Zurückbringen der Bootsflüchtlinge, die unterwegs im Meer ihr Leben gaben. Falls ich die Installation einmal an einem größeren, freieren Platz wiederhole, würde ich sie gerne um Objekte der Begierde, der Wünsche und Sehnsüchte erweitern, die Afrikaner in Europa finden wollen. Die meisten der Bootsflüchtlinge sind einfache Dorfbewohner, die gerne ein Auto besitzen würden, einen Fernseher oder ein Handy – verschiedene Dinge für Konsumenten.
Gibt es nicht auch eine Verbindung zur Kolonisation?
Als die Forscher ihre Segel Richtung Afrika setzten, brachten sie Krankheiten mit, die die einheimische Bevölkerung schwer beeinträchtigten. Die Expeditionen der Eroberung, z.B. in bezug auf die Maya oder die Inka in Südamerika, die Aborigines und die Arawak in Jamaika, über die ich starke Gefühle entwickelt habe, brachten den Tod mit sich. Die Arawak waren indischer Herkunft, ähnlich den amerikanischen Indigenen. Als die Spanier kamen, lebten sie auf den Inseln Jamaikas. Die Spanier wollten ihre Zuckerrohr- und Kakaoernte für den Export verwenden. Sie wollten die Arawak als Arbeiter verwenden. Und das ging schief, also zwangen sie sie auf den Plantagen zu arbeiten, wo sie Krankheiten erwischten, die Sklaven erhielten eine schlechte medizinische Behandlung und ihre Rebellion wurde unterdrückt. Sie starben an all diesen Umständen. Heute ist kein einziger Arawak mehr übrig. Und die Schiffe fuhren weiter nach Afrika, um noch mehr Sklaven zu holen. Also spreche ich in meiner Installation von diesem seltsamen Genozid von Menschen und Kulturen aus verschiedenen Kontinenten.
Also bildest du die Geister ab, die die Toten in den Himmel bringen, oder wohin eigentlich?
Sie nehmen die Seelen in die große Leere mit. Die Leere ist ein Euphemismus für Gott. Denn anders als in der europäischen Kultur ist Gott weder männlich noch weiblich sondern eine riesige Einheit. Wenn jemand Leben und Tod von einem euphemistischen Standpunkt aus anschaut, ist das Leben eine elektrische Ladung. Wenn eine Person stirbt, verliert sie ihre Elektrizität. Das beinhaltet diese Auffassung. Die Frage ist, wohin geht diese Elektrizität? Wenn doch Energie unzerstörbar ist. Eigentlich sind diese Wassergeister Energie-Sammlerinnen. Sie wollen nicht zeigen, wohin sie die Energie bringen. Also verwischt die Letzte die Spuren auf der Oberfläche des Ozeans.
Auf der Documenta 12 in Kassel zeigte Romuald Hazoume ein riesiges Boot aus Öltanks, das sich auch mit der Bootsflüchtlingsthematik befaßt. Wie denkst du über dieses Kunstwerk?
Ich kenne Hazoume persönlich, denn wir werden von derselben Galerie vertreten. Dieses Dokumenta-Boot habe ich nicht gesehen, aber ich kenne ein anderes Boot von ihm, für das er aus Ölkanistern ein Sklavenboot nachbaute. Hazoume versucht Sinn zu finden in dieser Verbindung der Vergangenheit der Sklaverei zur Gegenwart von Migranten, die Europa erreichen möchten. Er lebt in Benin und Paris.
Ist es nicht seltsam, politische Kunst zu diesem Thema zu machen? Oder sollten Europäer auf diese Weise davon erfahren und sich auseinander setzen?
Das sind Fragen, die ich mir über die Jahre selbst gestellt habe. Manchmal zahlt es sich für einen Künstler aus, die Umstände, die ihn umgeben, zu konfrontieren. Dagegen kommen wir nicht an. Hrdlicka machte bei der Albertina eines seiner kraftvollsten Kunstwerke zu Österreich und es ist sicher politisch. Wenn ich das richtig verstehe, leben die Leute in der Verleugnung der Vergangenheit. Also will er sagen, diese Vergangenheit des Nationalsozialismus ist die Realität. Und auf der anderen Seite gibt es Herman Nitsch mit seinen quasi-religiösen Zeremonien. Für manche Leute ist das ein schrecklicher Akt, was er macht, aber es ist eine Erholungspause vom Katholizismus und auch eine Art von Neuerschaffung von katholischen Ritualen und Identität, die auf der katholischen Kirche beruht. Also denke ich, wenn der Künstler geneigt ist, politische Kunst zu machen, lass’ ihn es tun. Um Leute zu ermutigen, muss der Künstler politische Kunst machen, vor allem wenn die Systeme repressiv werden. Es ist ein bißchen wie sozialer Realismus wie in der Sowjetunion oder in China. In diesem Zusammenhang werden Künstler die nur Kunst machen wollen, nicht als Künstler betrachtet. Wenn du akademische Maler aus Osteuropa betrachtet, sind sie sehr gute Zeichner, aber die Kunst ist trocken, es gibt keine Emotionen.
Ist Hazoumes Boot eine Kunstarbeit, die für den europäischen Markt geschaffen wurde, oder zeigt er es auch in Afrika?
Sicher zeigt Hazoume seine Werke in Afrika. Die Boote werden dort produziert. Du mußt wissen, dass Kunst in Afrika nicht für die Öffentlichkeit geschaffen wurde, nicht um Kunstwerke zur Schau zu stellen. Kunst war immer Teil einer Zeremonie, die Idee eines Museums ist relativ neu. Natürlich hat der informierte afrikanische Künstler Kunsttheorie gelesen, deswegen arbeitet er oft der afrikanischen Öffentlichkeit voraus. Aber ab und zu gestaltet ein afrikanischer Künstler ein Werk, das die Menschen konfrontiert und in dem sie sich wie in einem Spiegel sehen. Künstler agieren aus der Beobachtung dessen heraus, was um sie herum statt findet. Wahrscheinlich kann das Statement dann irgendetwas sein – Politik eingeschlossen. Aber wenn sich ein Künstler auf politische Kunst versteift, dann stimmt etwas nicht. Es ist
ein bißchen wie Karikaturisten, die nur für eine bestimmte Art von Zeitung arbeiten. Eine Einschränkung. Ich denke gerade an Picassos Guernica oder Goyas „The brave deeds against the dead“. Als die Franzosen Spanien eroberten, wurden viele Menschen auf Bäume gehängt oder geköpft, barbarische Dinge geschahen. Goya machte Aufzeichnungen davon, er dokumentierte die Politik auf seine Weise. Das ist Kunst! Seine Weise Grafik zu verwenden, erlaubt es ironischerweise ebenfalls an Cartoons zu denken. Francisco de Goya zeichnet toll und direkt auf den Punkt gebracht: Er mochte nicht, was er sah. Wenn wir uns Guernica anschauen: Das Bild handelt nicht nur von General Franco oder dem Aufstieg des europäischen Faschismus – es geht um Mord! Die Menschen sahen das im Kosovo, im Irak, schon öfter. Für solche Künstler würde ich meinen Kopf hin halten.
Aus Afrika kommt momentan viel pathetische Kunst, obwohl ich denke, wenn die Europäer Masken haben wollen, sollen sie Masken kaufen. Hazoumes Benzinkanister sind auch eine Art Masken. Und diese ganze Kunst aus Müll und Trash: Das ist auch eine Art den Europäern ihren Müll zurück zu geben (lacht). Die europäischen Sammler lieben diese arme Kunst dieser „armen Afrikaner“. Aber das Rohmaterial für jeden Künstler bleiben die Menschen, mit denen er aufwuchs. Das Exil ist dann ein Test, ob er auch andere Kunst machen kann. Den Wert eines Künstlers sieht man, wenn sich seine Situation verändert. Jeder politische Künstler wird im Exil enden und auf eine Weise die Leute verraten, mit denen er aufwuchs. Er wird blockiert und neutralisiert sein ohne die Verbindungen zu Afrika. Kunst ist ein Mittel zum Dialog.
„Mukodombera deluge/ Swimmers“ wird derzeit in der Ausstellung „Fluchtlinien. Kunst und Trauma“ in der Alten Schieberkammer hinterdem Meiselmarkt gezeigt. Täglich 12 bis 18 Uhr, noch einschließlich Samstag, den 26. Mai 2012.
Katalog: „Angaza Afrika: African Art Now“ von Chris Spring,
Laurence King Publishing 2008
Tapfuma Gutsa Kontakt: byginde@yahoo.com