Ein guter Schlepper ist achtsam
Fall Genner: Sieg des Flüchtlingshelfers gegen die Staatsanwältin. Einen Tag vor Prozessbeginn stellte der Oberstaatsanwalt das Verfahren gegen den Flüchtlingsunterstützer Michael Genner ein. Es drohten zwei Jahre Haft wegen „Gutheißung einer Straftat“. Die 20.000 Toten an den EU-Außengrenzen wären Mordopfer, meint Michael Genner, und in Kriegssprache: „Wir stehen an einer kleinen Stelle der Front“. Gerade starben in Deutschland eine Flüchtlingsfrau und zwei Kinder nach einem Brandanschlag auf ein Heim.
„Das ist deine Schuld, Michael Genner“, meint ein iranischer Flüchtling augenzwinkernd am Ende der Veranstaltung zum Thema „Schlepperei und Fluchthilfe“ im Republikanischen Klub, „du trägst die Schuld, dass ich zu Hause in Wien vier Kinder sitzen habe, die mich inzwischen über ihre Kinderrechte belehren.“ Der politische Student wartete drei Jahre auf Asyl, sieben Stunden dauerte sein Asyl-Verhör. „Du sollst das aushalten, denn du bist auf dem richtigen Weg“, sagte Genner. Als der von ihm unterstützte Iraner dann gleich direkt in der Verhandlung Asyl erhielt, war er völlig verwirrt – und der sich sonst so souverän gebende Genner fand sein geparktes Auto nicht mehr.
Michael Genner vom Flüchtlingsunterstützungs-Verein „Asyl in Not“ hatte in einer Mail-Aussendung sinngemäß gemeint, dass er Respekt vor dem Service eines guten Schleppers habe, der die Flüchtlinge anständig behandle. Einen Ausdruck dieses Textes hatte jemand in der Eingangsstelle der Staatsanwaltschaft Wien abgegeben – anonym und ohne Bemerkung oder Erklärung. Also kam ein Eingangsstempel darauf, und eine Staatsanwältin eröffnete ein Verfahren. Es gab sogar schon einen Prozesstermin, Vorwurf: Gutheißung einer Straftat, „in einer Art, die geeignet ist, das allgemeine Rechtsempfinden zu empören oder andere zur Begehung einer solchen Handlung aufzureizen“. Paragraf 282 Absatz 2 – mit zwei Jahren Höchststrafe belegt, was an den mittlerweile aufgehobenen Paragrafen gegen „Mind Terrorism“ in Deutschland erinnerte, brandgefährlich für Journalist_innen. Genners inkriminierter Text erschien auch im Augustin – dessen Herausgeberverein allerdings von staatsanwältlichen Angriffen verschont blieb. „Als einige der Votivkirchen-Flüchtlinge als angebliche Schlepper verhaftet wurden, meinte die Polizeiministerin, dass reiche Schlepper Tausende Euro pro Kopf verlangen und sogar Schwangere am Weg zurücklassen würden. Da musste ich differenzieren“, erklärt Genner. „Viele meiner Klienten in den letzten 25 Jahren überlebten nur durch gute Schlepper.“ Er bedankt sich bei den vielen Menschen, die ihm zur Seite standen. „Sie werden mich als Gewissens-Gefangenen anerkennen, meinte Amnesty International.“ Einen Tag vor dem Prozess stellte die Oberstaatsanwaltschaft mit Hilfe einer Weisung das Verfahren ein.
Freiheit für zwei „Schlepper-Flüchtlinge“
Zwei der drei Flüchtlinge aus der Wiener Votivkirche, die als mögliche Schlepper verhaftet wurden, sind inzwischen aus der Untersuchungs-Haft entlassen worden. „Die Polizei sagte nur geh’ zu mir, geh’“, erzählt einer der beiden, „es gab keine Verhandlung.“ Er wurde von der Rechtsanwältin Alexia Stuefer betreut, die sich stark für ihn einsetzte. „Die Kriminalisierung kam als ein Schock“, sagt Adalat Khan, einer der Sprecher der Votivkirchen-Flüchtlinge. Er lebe seit zehn Jahren auf der Straße und finde kein Zuhause. „Es gibt keinen legalen Weg, um Europa zu erreichen“, sagt Khan, „und in der Illegalität riskierst du dein Leben. Die Behörden machen die Einreise schwer, also braucht man die Hilfe eines Schmugglers. Ein guter Schmuggler achtet auf dein Leben, ein schlechter erpresst und betrügt dich. Oft bezahlen die Schmuggler Grenzwachen oder Polizei, damit wir Flüchtlinge durchkommen, denn es ist die gleiche Autorität, die die Illegalisierung beschließt und an Anhalte-Zentren verdient. Bewegungs- und Meinungsfreiheit können nicht kriminalisiert werden“. Rechtsanwalt Herbert Pochieser referiert den Paragrafen eins der Menschenrechtskonvention. Sein Schnurrbart sträubt sich. „Jeder Einzelne ist als Individuum unverzichtbar und darf nicht zum Verschwinden gebracht werden“, meint er und weist auf Segregations-Tendenzen hin, die nicht nur an den Grenzen stattfinden. „Es gibt arme Menschen, die auf der Straße sitzen, die werden auch ausgeschlossen. Es hat eine Verschiebung im Denken stattgefunden – es wird zunehmend weiter segregiert.“ Polizei und Staatsanwälte zeigten auch Symptome der schiefen Ebene dieses „verschobenen Denkens“ und würden den rechtlichen Tatbestand von „Notstand“ oder „Nothilfe“ nicht mehr anerkennen.
„Es gibt keinen guten Schlepper, denn der würde Fluchthelfer heißen“, sagte Gerald Tatzgern, der Leiter der Zentralstelle für Schlepperei, in den Salzburger Nachrichten. Am Schluss des Artikels steht, wer seine kranke syrische Mutter über die Grenze schleppt, erhält eh nur eine Verwaltungsstrafe. „Ist das nichts, eine Verwaltungsstrafe?“, fragt der laut Eigendefinition „älteste Flüchtlingsanwalt Österreichs“ Pochieser. „Das ist Nothilfe, die ist nicht straftbar. Segregation muss Einhalt geboten werden! Leider wird immer mehr Strafrecht herangezogen, um politisch missliebiges Verhalten zu unterdrücken.“ Außerdem kritisiere er, wenn die österreichische Staatsanwaltschaft das Geschäft der pakistanischen Flüchtlings-Erzeuger übernehme, so dass die Flüchtlinge auch in Österreich keine Ansprechpartner_innen mehr finden. Pochieser an die Adresse der Staatsanwaltschaft: „Ihr seid Mittäter.“
Ersterscheinung im Augustin vom 19. 2. – 4. 3. 2014