Shanghai Bilder, Bilder-Lager und Straßenbild
Herr Karoly verlässt nach 48 Jahren seinen Standort. Ein Installateur wird in sein Bilder- und Rahmengeschäft ziehen: Harry Karoly, wegen den Nazis in Shanghai geboren, verlässt nach 48 Jahren sein Geschäftslokal in Ottakring.
„Schauen Sie mal, das sind die neuesten, nicht abgeholten Bilder. Eine Vorausbezahlung wäre ein zu großer administrativer Aufwand. Sie haben ja eh das Bild, sagen die Leute.“ Nach 48 Jahren im gleichen Geschäft am selben Ort in der Ottakringer Vorstadt, in der Nähe der Ottakringer Bierfabrik, sperrte Harry Karoly nun sein Rahmen- und Bildergeschäft zu. Es hängen keine Vorhänge mehr vor den Bilder-Vitrinen in der Neulerchenfelder Straße 71. Schon mit 24 Jahren machte Harry Karoly sich selbstständig. „Ich arbeitete als bürokaufmännischer Lehrling in einer Möbelfabrik im Import, Export und lernte den Sohn eines Bilderhändlers kennen. Im ‚Allgemeinen ersten Einkaufszentrum’ – das AEZ war damals so etwas wie die Lugner City heute. Von dort aus wurde ‚Autofahrer unterwegs’ gesendet.“ Der kleine, feine Mann mit der goldumrandeten Brille schaut gelassen aus, in seinem halb leer geräumten Geschäft zwischen lauter Bildern sitzend. In den Schaufenstern liegen weitere Bilder. „Die Bilderhändler-Familie nahm mich anschließend an den Wochenenden mit auf Ausflüge. Ich war ja ein gescheites Bürscherl und lernte schnell. Meine Mutter wurde befürsorgt, ist aber immer lieb zu mir gewesen.“ Über die näheren Umstände der Fürsorge-Maßnahme mag er nicht reden. „Meine Mutter war ein wiederkehrender Flüchtling, gezwungenermaßen geflüchtet vor dem 1000-jährigen Reich.“ Harry Karoly, der Mädchenname der Mutter war Gerstl, wurde 1942 in Shanghai geboren. Es gab ein Kontingent von 35.000 jüdischen Menschen, die nach Shanghai einreisen durften. „Meine Großeltern hatten in der Breiten Gasse ein Möbelgeschäft, das ihnen weggenommen wurde. Die nahen Anverwandten haben überlebt, aber es sind schon Verwandte umgekommen.“
„Vienna Polstermöbel Shop“ in Shanghai
„Ich hatte keine Mittel, habe mir aber mühsam ein Lager erwirtschaftet. Ich lebte langsam vom Bilder-Verkauf. Ich kaufte keine großen Namen, damals kamen aber viele Maler aus Ungarn direkt von der Akademie, auch viele Flüchtlinge darunter. Die schauten ins Telefonbuch und sahen den ungarischen Namen, brachten mir ihre Bilder und die habe ich gekauft oder nicht.“ Darunter gab es einige MalerInnen, die sich etablierten. Auch Symbiosen mit dem Händler als Kurator ergaben sich – was beim Publikum gut ankam, wurde nach einem Tipp ähnlich wieder gemalt. „Meine Großeltern sind mit 69 Jahren emigriert, mit 79 kamen sie zurück nach Wien. 1949, kurze Zeit später eroberte Mao Tse-tung Shanghai. Mein Opa war Tapezierermeister, in Shanghai hatte er ein kleines Geschäft, mit dem er zu überleben versuchte. Den ‚Vienna Polstermöbel Shop’, es gibt ein Foto.“
Die Türe geht auf. Eine Kundin bringt den speziellen Geruch der Ottakringer Bierfabrik mit herein. Heute weht der Wind in Richtung Innenstadt. Karoly baute sich seine StammkundInnen auf, vor allem durch seine freundliche Art. 48 Jahre sind eine lange Zeit. „Es schaut noch alles genauso aus wie früher, außer das Haus gegenüber“, sagt Harry Karoly. „Damals nach dem Krieg war die Neulerchenfelder Straße eine gute Geschäftsstraße, die Straßenbahnlinie J fuhr hindurch. Später holte die Thaliastraße auf. Meine Vormieter hatten das Geschäft beangabt, das heißt, eine Vorauszahlung geleistet. Bis das Haus gebaut wurde, waren die aber zu alt für ein Geschäft. Damals betrug die Miete 2100 Schilling, das war mehr als mein Monatsgehalt. Ab dem Mauerbogen dort, habe ich jahrzehntelang alles abgestottert.“ Karoly lebte hauptsächlich von Einrahmungen. Die Kundschaft veränderte sich. „Inzwischen kommen andere Menschen mit anderen Kulturen, vorher kamen ehemalige Österreicher aus den Kronländern, aus Galizien. Die hatten sicher andere Wertvorstellungen von Bildern als die Einwanderer heute. Meine Kunden und meine Künstler sind inzwischen großteils ausgestorben.“
„Geben’s mir den Schlüssel!“
Mehr und mehr KundInnen suchten das Geschäft wegen der Rahmen auf. „Mir ist der Rahmen wichtig, sagten sie. Man sucht doch erst das Bild aus und dann den Rahmen, wandte ich ein. Damals wurde auf den Akademien noch gemalt, Akt und nach der Natur, jetzt gibt es andere Kunstrichtungen wie Fotos oder Skulpturen. Osteuropa war damals viel moderner, was die Malerei betrifft – hier in Wien haben sie noch schöne Landschaften gemalt. Die hatten aber alle gut das Handwerk gelernt.“ Am meisten verkaufte Herr Karoly Stilleben, Blumen und Stadtlandschaften, die gut zur konservativen Möblierung, den Kristall-Lustern oder zu den rustikalen Bauernstuben in der Ottakringer Vorstadt passten. Später verkaufte er in ganz Österreich auf Ausstellungen Bilder, auf der Messe Wels, in Ried, in Graz, auf der Wiener Frühjahrs- und Herbstmesse. „Auf den Messen besuchte mich die Landbevölkerung. Die sagten: Wenn ich ein Bild will, gehe ich zu Herrn Karoly auf seinen Stand, dort finde ich bestimmt etwas.“ Das Strickbild an der Wand, bei dem er sich so mit dem Gobelin plagte, wurde seit dreißig Jahren nicht abgeholt. „Ich habe nichts gegen abstrakte Bilder, aber ich muss es nicht haben“, sagt der Ottakringer Bilderhändler, „ich bin mit der klassischen Malerei aufgewachsen, fand langsam Gefallen an der modernen, habe aber mein Herz nicht verloren.“
Karoly hat wunderschöne Radierungen und Bleistiftzeichnungen von Robert Kasimir, der z. B. die alten Gebäude des Krankenhauses zeichnete, einen Ernst Fuchs in Blau und nach dem Tod einer lieben Bekannten blieben ihm einige Bilder der Theresienstadt-Überlebenden Eva Sachs, deren gesamte Familie in Auschwitz vernichtet wurde und die als Malerin in New York lebt. Er verkauft aber Clowns, Sonnenuntergänge oder schöne Frauen-Bilder. Das arisierte Geschäft seiner Großeltern befand sich in der Wiener Breiten Gasse. „Ab heute dürfen Sie nicht mehr kommen, sagte eine gewisse Frau Marek und geben’s mir den Schlüssel! Nach Kriegsende kam ein Schreiben von ihr, sie war mit einem illegalen Nazi liiert, der sie mit niedriger Nummer in die Partei aufnahm. Mit Ach und Krach haben wir das Geschäft leer zurückbekommen. Meine Mutter erkannte nach dem Krieg Sachen von uns in Frau Mareks Wohnung. Meine Mutter hatte in einem so genannten Lift, einem Container, einige kleine Möbel gerade noch vor Kriegsanbruch 1939 nach Shanghai mitnehmen können.“ Draußen gehen Frauen mit Kopftuch und Kinderwagen vorbei. Harry Karoly legt das Bild einer glänzenden Moschee ins Schaufenster, die Frauen riskieren einen Blick. In seiner Pension will er sich in Kritzendorf ansiedeln und dort weiterhin seine Bilder verkaufen. Schließlich ist sein Bilder-Lager noch voll, und die Bilder wollen unter die Leute.
Fotos: Heiko Kilian Kupries
Ersterscheinung im Augustin vom 30. 4. bis 13. 5. 2014