postheadericon Im Konsens entscheiden und im Turnus putzen

Am Kommunentreffen „Los geht’s“ wird das Leben vor der Revolution geplant: Unter dem Stichwort „Los geht’s!“ treffen sich seit einigen Jahren Kommunen und Hofkollektive, um sich über ihre soziale und ökonomische Praxis auszutauschen und gemeinsam an Zukunftsideen zu spinnen. Heuer hat das Hofkollektiv Zwetschke in der Nähe von Zwettl eingeladen. Die interessierte Zuhörerin erfuhr, dass Häuser aus Wolle derzeit um vierzig Prozent reduziert sind, das Wasser im Bauwagen ein Luxus ist und dass die Anarchie 1936 in Spanien aufblühte.

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Ein leerer Raum in einem alten Bauernhof, Teppichstücke über Holzboden, die Zwettl rauscht durch die Fenster herein. An der unverputzten Wand hängen Fotos von einem landwirtschaftlichen Kollektiv im spanischen Levante, der iberischen Ostküste, im Jahre 1937. „Anarchosyndikalismus: Die meisten Kollektive wurden von der anarchistischen Gewerkschaft CNT getragen“ und standen „gegen den dumpfen Drang andere Menschen zu unterdrücken und auszubeuten“, ist zu lesen. Doch, kleine Warnung: „Kaum jemand würde die so erkämpften Freiräume schon für die erträumte Gesellschaft halten.“

Zwei Stockwerke unterhalb, in der ehemaligen Werkstatt, findet man Zettel auf die Mauer gepickt: „Hof Kaiserhex in der Südsteiermark, St. Johann im Saggautal, Potentiale: Wein, Gemüse, Vieh, Konzept: Wildgehege“, oder „Das Habinger Haus braucht Menschen. Dorf Pleissing in Niederösterreich, nahe dem National Park Thaya“. „Wir sind ein Kollektiv mit gemeinsamer Kasse und ohne Esoterik. Wir entscheiden im Konsens und putzen im Turnus. Wir haben kein Manifest aufgeschrieben“, stellt sich ein Bauernhof in Kehrsaz bei Bern vor. Das Kollektiv „Land in Sicht, Verein für zukunftsfähige Lebensweisen“ philosophiert zum Thema „Für Jurten-Zelte ist keine Baugenehmigung nötig“. Andere preisen lustige Berufe an: „Stimmungsbild-Helfer zum schnellen Durchführen von groben Stimmungsbildern zur Förderung der Diskussion während Entscheidungsphasen“. Ungefähr sechzig Menschen aus Kollektiven und Kommunen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich sind zum „Los geht’s Festival“ auf einen Bauernhof nahe Zwettl gekommen, um ihre Lebens- und Wohnkonzepte zu diskutieren und Gleichgesinnte zu treffen. „Direktkredite als sinnvolle Geldanlage“ steht an der Wand neben dem Traktor und die meisten TeilnehmerInnen interessieren sich für den Workshop zum Thema „Finanzierung“. Der Workshop zu „Geschlechterrollen“ ist außergewöhnlich gut besucht.

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Regenwürmer und Eigentum

AnarchistInnen suchten Wege, sich der verhassten Gesellschaft zu entziehen, KünstlerInnen und Vagabunden bevölkerten die „Monte Verita“ bei Ascona im Tessin vor dem Zweiten Weltkrieg, lernt man oben unter dem Dach. Der grandiose Anarchismus von 1936 scheiterte durch militärische Niederlagen, „er eignet sich nicht fürs Museale“. Fotos von den plötzlich pünktlichen, kollektivierten Straßenbahnen, den konföderierten Holzwerkstätten und den kleinen, sozialisierten Fabriken sind zu sehen. Unten hört sich dann alles profaner an, auch wenn die „Sozialistische Selbsthilfe Mühlheim“ Flüchtlinge aufnehmen möchte oder im deutschen Kollektiv „Tempelhof“ Zirkuswägen gebaut werden. Vom Auseinanderklaffen der Generationen, spricht ein junger Salzburger im Workshop „Selbstversorgung“ und dass „man doch alte Leute anquatschen könnte, ob die frei stehende Gärten, in denen nichts gemacht wird, herborgen“. „Du hast noch nicht gesagt, wie du das Gemüse dann wieder los wirst“, kritisiert ein anderer. „Das ist mein Weg, weil die Erde mich voll angezogen hat“, schwafelt der Salzburger eine halbe Stunde über Teilung und Verteilung von Regenwürmern. „Heute sind einige Leute von Co-Housing Projekten aufgetaucht“, erzählt Berni, einer der „Zwetschken“, wie sich die BewohnerInnen des Zwettler Hofkollektivs nennen. „Bei denen geht es erst einmal um Eigentum und dann unterhält man sich darüber, welche Gemeinschaftsräume es geben könnte oder wie man den Garten organisiert. Da hat jeder seine kleine Wohnung, in der er sich verstecken kann. Bei uns hingegen vergeht kein Tag, ohne dass ich die anderen treffe.“ In Zeiten wie diesen ist es schon ganz schön politisch zu sein, sein weniges Geld in eine Gemeinschaftskasse zu stecken und die anderen um ihre Zustimmung fragen zu müssen, wenn man zum Beispiel in Bildungskarenz gehen will. Der Workshop „Wer zieht in ein Kollektiv und warum?“ findet nicht statt.

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Gekühlte Kirchen und Trecker

1936 beschlossen die Gewerkschaften in Valencia eine zentrale Kassa, um das soziale Niveau zu den landlosen und entrechteten TaglöhnerInnen auszugleichen. Die schlossen sich auf ehemaligem Großgrundbesitz zu freiwilligen Kollektiven zusammen und die Agrarproduktion stieg gleich einmal um 30 Prozent. In ehemaligen Kirchen entstanden Lebensmittelläden – wegen der Kühlung. In Zwettl findet die Clownfrau, die am Abend mit der Clown-Zwetschke Anja, der Akkordeonistin Heidelinde und drei Mädchen ein urlustiges Programm bringt, dass die Leute, die das Projekt mitfinanzieren wollen, in Naturalien wie zum Beispiel Äpfel ausgezahlt werden könnten. Im Wagenplatz-Workshop geht es um Tieflader-Transporte, Trecker, Feuchtigkeit in der Blechkiste und Gästewägen für Flüchtlinge in Mainz. In Leipzig wurde gerade erst ein Wagenplatz besetzt, „Trailer Park bleibt“ ist das Motto. Es gäbe eine fahrende Bibliothek in die Dörfer, Theaterstücke mit der „Karawane und Kunst“ seien geplant. „Einstieg gibt’s bei uns nicht, wir sind voll“, lächelt einer vom Wiener Wagenplatz, der zufrieden ist. „Habt ihr Ausstiegsverträge?“ Alle lachen. Eine Zwettlerin erzählt von der Gemeinde-Wiese und der Viehversteigerungshalle, in der einmal im Jahr „fahrendes Volk“ und der Zirkus lebe. Überhaupt schauen auffallend viele NachbarInnen im Zwetschken-Kollektiv vorbei.

 

Fotos: Heiko Kilian Kupries

Ersterscheinung im Augustin 15. 10. – 28. 10. 2014

 

 

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