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Reger Besuch in isolierten deutschen Flüchtlingslagern
Flüchtlingsfrauen in Deutschland möchten, dass desolate und isolierte Lager geschlossen werden. Sie wollen ihre Gewalterfahrungen in Ruhe und Würde aufarbeiten. Eine Konferenz von Flüchtlingsfrauen in Hamburg zeigte die Unterschiedlichkeit, aber auch die Stärke der 150 trotz Residenzpflicht angereisten Protagonistinnen.
In der Ferne glitzert die Elbe, man sieht die Schiffskräne des Hamburger Hafen. Quer über die Längsseite der Aula einer Tagesschule auf St. Pauli verläuft eine Glaswand, durch die die Teilnehmerinnen der gut besuchten Flüchtlingsfrauen-Konferenz Tausende von Marathon-LäuferInnen beobachten können, die den Hügel hinab und die Hafenstraße entlang laufen. Schiffe tuten in der Ferne. „Du kannst sogar alleine die Isolation in deinem Flüchtlingslager überwinden“, sagt eine iranische Filmemacherin, die selbst als Flüchtling nach Deutschland kam. „Gegen die Isolation hilft ein Dokumentieren deiner Situation, mit Text, Foto oder Film. Dann kannst du das Resultat zu anderen bringen und die draußen können die Situation sehen.“ Die Iranerin ist ein lebendiges Beispiel für eine Flüchtlingsfrau, die es geschafft hat, sich trotz aller Hürden ein eigenständiges Leben in Deutschland zu erarbeiten. „Isolation“ ist hier das bestimmende Wort, das in fast jedem Redebeitrag vorkommt.
Josef Weinheber: „Am tiefsten ergreift der Tote, der Dulder aus Eis!“
Kunstaktion gegen den Weltuntergangsdichter und gläubigen Nazi Josef Weinheber. Ein schweres Betonfundament für die Büste eines antisemitischen Dichters und Protest gegen poetische Todespropaganda: Junge Künstler_innen unterhöhlten am Wiener Schillerplatz das Andenken an Josef Weinheber, der Todesliebe und Geschlechterhaß bedichtete.
Josef Weinheber ist ein gefährlicher Mann. Denn, auch wenn sich der antisemitische Dichter am 8. Mai 1945 selbst umgebracht hat, so leben Teile seiner lebensfeindlichen ideologischen Welt bis heute fort. Josef Weinheber war sich bewußt, dass sein Aufenthalt in Korrektionsanstalt und Waisenhaus, in dem seine 14-jährige Schwester als seine letzte Familienangehörige starb, tiefe Folgen für seinen Charakter hatte. Er beschrieb sich als „Niemandsmann“ und veröffentlichte einen ganzen Roman über seine Zeit im Waisenhaus. Weinheber „arbeitet sich“ von seinen Kindheitstraumata zu einem gewaltigen Frauenhaß „vor“, der in einer (in seiner Zeit üblichen) Verankerung „des Weiblichen“ in Sünde, Triebhaftigkeit und Geistlosigkeit fußt, obwohl er mit zwei schreibenden Frauen verheiratet war. Während er Selbstverlorenheit und Selbstauflösung in sexuellen und alkoholischen Räuschen sucht, wirft er diese aber dem „Gott-Tier und Satan Weib“ vor. Die Soldatenbriefe von der Front, mit der klassischen Aufteilung in „heilige Mütter“ und „zerstörerische Huren“, die Klaus Theweleit publizierte, sind auch schlimm, aber Weinheber geht sogar bis zur Propagierung von „Schändung“, wie der Germanist Albert Berger in seiner genauen Analyse heraus fand*!
gelatin: Kaputt machen! Auf Holzwagerl surfen!
Ausstellung von gelatin im 21er Haus
Der tapfere Pianist beugt sich über das Klavier und produziert über Stunden Töne, die zerbrechlich und fein im Raum stehen. Ein Finne. Vor und oberhalb von ihm ein Riesen Styroporberg, auf dem in schwindliger Höhe die gelatin-Künstler_innen thronen, Löcher bohren und mit Styroporteilen um sich schmeißen. Während der Fluxus-Künstler Wolf Vostell aber in seinen Aktionen Fernsehgeräte und Mercedesse einbetonierte, mit klarem, gesellschaftlichen Statement, entzieht sich die Ausstellung „Loch“ der Künstlergruppe gelatin mit der simplen Berg-Metapher einem zeitgenössischen gesellschaftspolitischen Kontext. Doch das Aufbrechen des Museums, wie es VALIE EXPORT im 20er Haus praktizierte – sie schnitt einen Spalt in die Glaswand und setzte einen Steg in die Luft -, und das Ad-absurdum-Führen musealer Gegenstände durch eine Unmenge an ähnlichen Gips-Skulpturen mit Holzleisten drin und die Möglichkeit fleißig selber zu bauen, lösen sehr wohl die Grenzen zwischen Werk und Betrachterumfeld auf.
Der Purpurblaurabe und die „Realität zweiten Grades“
Tatiana Lecomte im Museum am Judenplatz.
Wie läßt sich eine traumatische Geschichte in Bildern verarbeiten? Wenn jemand etwas sehr Schlimmes erlebt hat, passen für sie oder ihn die Bilder im Kopf nicht immer mit der Realität zusammen. Man kann die Wirklichkeit manchmal nicht einordnen. Standbilder, Flashbacks oder Farbausfälle kennzeichnen ein Trauma – eine Fragmentierung der Wirklichkeit passiert, nur Teile des Geschehens werden noch wahrgenommen. Inkablaurabe oder Rostbauch-Fruchttaube, Bunttukan oder Purpurblaurabe heißen die Vögel, die die Künstlerin Tatiana Lecomte im Wiener Jüdischen Museum am Judenplatz ausstellt. Und damit die erste zeitgenössische Kunst Ausstellung in der kleinen Schwester des großen Jüdischen Museums ausrichtet. Große Schwarzweißfotos von ausgestopften Vögeln aus dem Naturhistorischen Museum stehen auf dem Boden und zeigen einen erstarrten Tod mit einem Rest von Lebendigkeit in den künstlichen Augen.
„Hyänen der Lust“ und Tragetiere
Ausstellung: Frauen im Ersten Weltkrieg im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien.
Soll der düstere neue Hauptbahnhof mit seinen schwarzen Wänden und seinem schweren Dach eine Art Erinnerungs-Blitz sein? Denn dieser deutet genau aufs Arsenal und weist damit darauf hin, dass der Bahnhof ursprünglich für Soldaten und den Krieg erschaffen wurde. Sogar das Heeresgeschichtliche Museum mit seinem Backsteinbau wirkt dagegen freundlich, zumindest der kleine Raum neben dem Eingangstor, der mit 16 Schautafeln (englisch!) zum Thema „WoMen at War, k.u.k. Frauenbilder 1914 – 1918“ voll gestellt ist. Hier erfährt man erstaunliche Dinge, über das fleißige offizielle Kriegsfürsorgeamt des k.und k. Kriegsministeriums z.B., oder dass in Sarajevo auch die „Gattin Gräfin Sophie von Hohenberg“ ermordet wurde und dass Frauen „harte körperliche Arbeit in der Rüstungsindustrie“ leisteten, die „wichtigste Aufgabe aber die sparsame Haushaltsführung“ war. Es gab Vorträge und Kurse über die Möglichkeiten „aus Nichts etwas zu machen“.