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Augenzeuginnen, innere Helfer und Anker
Wie Flüchlingskinder Traumata überwinden: Das Betreuungszentrum „Hemayat“ bringt glückliche, stabile Momente.
Ein Kassiber ist eine verbotene Nachricht, die ein Gefangener nach draußen schmuggelt. „Kassiber“ kommt vom jidischen Wort „kessaw“ für „Geschriebenes“. Für die Kinder-Therapeutin Sonja Brauner sind Kassiber Zettelchen, die ihr Flüchlingskinder mitbringen, auf denen sie quasi Nachrichten und Botschaften senden. Wer erfahren will, wie man Kinder von den Folgen traumatischer Erfahrungen befreien kann, ihnen Unterstützung und Mut zukommen lassen, ist mit dem neuen Buch „Abbilder der Folter. Hemayat: 15 Jahre Arbeit mit traumatisierten Flüchtlingen“ bestens versorgt.
Flüchtlinge in der Votivkirche: „Das ist wie ein Krebs, man wird tot innen“
Auf Menschen mit Todes-Erfahrungen muss man aufpassen…: Weil Shajahan weiß, wo sich ein Ausbildungs-Zentrum der Taliban befindet, würde er in Pakistan ermordet werden. Doch Österreich ist nicht bereit, ihm Asyl zu gewähren. Nun hungert Shani sich die bei den Taliban durch Steroide zugenommenen Kilos in Österreich im Hungerstreik wieder herunter.
„Wir wollen den normalen Menschen in Österreich erklären, wie die Situation in unseren Heimatländern ist“, sagt der hagere Mann, der mit einem Schlafsack umhüllt auf einer Matraze mitten in der Wiener Votivkirche sitzt. „Es gibt keinen einzigen Flüchtling hier, der nicht jemand aus seiner Familie verloren hat. Durch den Hungerstreik sind wir alle schon etwas geistig beeinträchtigt („mentally disturbed“).“ Mit seinem Bart, der Mütze und der Kapuze darüber und dem durchdringenden Blick, schaut dieser Flüchtling wie ein Revoluzzer aus. Ein Film- und Fernsehjournalist befragt ihn gerade. „Unsere Forderungen sind keine einfachen“, sagt der Flüchtling. „Wir wollen einen legalen Status und Reisedokumente. Die Mentalität in Österreich macht den Flüchtlingen nur Vorwürfe.“ „Was muss passieren, damit ihr den Hungerstreik beendet?“, fragt der Fernsehjournalist hartnäckig bereits zum zweiten Male, seine Stimme wird lauter. „Wenn wir unsere Rechte erhalten. Wir sind schwach, wir tragen eine Menge Probleme im Herzen und wir kämpfen gegen das System und die Welt“, ist die Antwort. „Wir wollen keine warmen Plätze oder Erleichterungen haben.“
Die Stiefel sind am Marschieren
Wie nah die Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges noch ist und wie stark in den Köpfen verankert, zeigt die Schau im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien. Ein friedens-parteiischer Rundgang mit der Künstlerin Alenka Pirman.
Sechs Paar deutsche Marschstiefel marschieren hintereinander quer durch einen Schaukasten, leicht erhöht auf einem Sockel. „Der Ausmarsch“ steht dabei und in Klammer: „Symbolhaft für den Marschbefehl der deutschen Wehrmacht in den Zweiten Weltkrieg am ersten September 1939.“ Alenka macht ein schnelles Handy Foto, stößt mich mit dem Ellenbogen und fragt: „Was wollte uns der Kurator damit sagen?!“
Partisanenkinder: Der lange Schatten des Schmerzes
Wie ein Kind ein erwachsenes Leben lang in sich trägt, was die Nazis ihm angetan haben. Zdravko Haderlap erzählt: Wie ein Kind, das ab elf Jahren im Partisanen-Widerstand war und von Nazis zwecks Informations-Beschaffung auf den Nussbaum gehängt wurde, dieses lebensbedrohliche Ereignis später bildgleich wiederholt und wie anstrengend sich diese Reinszenierungen auf die Nachkommen auswirken.
Wie würdest du einem Wiener erklären, wie das möglich ist – warum die Partisanen nach dem Zweiten Weltkrieg so schlecht behandelt wurden? Warum musste ihr Widerstand so stark verdrängt werden?
Man muss sich das einmal vorstellen: Man war am Ende des Zweiten Weltkrieges auf der Siegerseite und kurze Zeit später war man wieder wie im Krieg und hat seitens der Politik wieder den gleichen Sprachjargon verwendet – bei alledem sind einem aber dieselben Bilder aufgekommen, die man erlebt hat. Politik funktioniert leider so, dass man sich auf Kosten des Anderen an der Macht hält. In Kärnten ist die Politik auch auf Kosten der slowenischen Volksgruppe gemacht worden. Das ist das Spiel der Politik, politischer Mißbrauch. So wie meine Schwester Maja Haderlap selbst gesagt hat: Österreich hat in den letzten Jahrzehnten verabsäumt, offiziell zu sagen, dass die Volksgruppen, vor allem die Kärntner Slowenen, mit dem organisierten bewaffneten Widerstand als Einzige im Deutschen Reich, maßgeblich zur Entstehung der Zweiten Republik beigetragen haben. Man erwartete sich, dass dieser Widerstand irgendwie verstanden wird, aber er ist dann nur so lange aufgenommen worden, bis der Staatsvertrag unterzeichnet wurde. Ich denke, Republik und Demokratie funktionieren nur, wenn man die Minderheiten mit einbezieht, die ja auch alle an diesem österreichischen Projekt mitgearbeitet haben.
„Ein Trauma ist nicht angeboren, sondern wird erzeugt“
Misstrauen, schmerzhafte Erinnerungen, Vermeidungsstrategien: Das schwierige Thema, wie man mit Traumata umgeht und junge Flüchtlinge unterstützen kann, brachte die Psychotherapeutin Barbara Preitler zukünftigen PatInnen näher.
„Die jungen Flüchtlinge bringen alle einen Familien Hintergrund mit – ohne reale, sichtbare, anwesende Familie“, sagt Barbara Preitler, die als Therapeutin auf die Themen Flucht und Trauma spezialisiert und eine Mitbegründerin von „Hemayat“, einer Betreuungsorganisation für Folter und Kriegsüberlebende, ist. „Und es kann sein, dass das eine sorgende, nährende Familie war, in der die Kinder wachsen konnten, es ist aber auch möglich, dass sie zum Beispiel ausgebeutete Kinderarbeiter waren.“ Jeder junge Flüchtling schleppt also unsichtbar seine Mutter und seinen Vater, seine Großfamilie, seine Geschwister mit sich bis nach Österreich. „Sie bringen alle eine Familie mit“, sagt Preitler den zukünftigen PatInnen, die auf junge Flüchtlinge schauen wollen und ihre Schutzpersonen sein. „Aber für alle gab es einen Bruch, die Trennung – was nicht normal ist, für 13, 15 oder auch 17jährige.“