Autorenarchiv
Punk und Holocaust: Die Endlösung der Endlösung
Als die Töchter und Söhne der Holocaust-Überlebenden auf die
Popmusik stießen, entstand Punk. Mit den Mitteln der Komödie, Überzeichnung
und Rebellion versuchten Punkprinzessinnen wie Genya Ravan oder Helen Wheels die Schocks in ihrer Familiengeschichte zu verarbeiten.
Franz Hautzinger: Das Gegenteil vom Trompeten-Tütü
Franz Hautzingers Weg vom Musikantenstadl zur Avantgarde: Er könnte auch mit einem Luftballon Musik machen, aber zum Glück muss er nicht. Mit seinen Andeutungen, Antönungen, Anflügen revolutionierte Hautzinger nicht nur den Trompetenklang, sondern er fühlte sich auch noch als Trompeter, als ihn eine Lähmung der Oberlippe jahrzehntelang zwang, halbe Töne als Geschenk zu nehmen.
Wie hast du diese Lähmung in deiner Oberlippe bemerkt? Hast du dann plötzlich gar nicht mehr spielen können?
Meine Arbeit war das Trompete-Üben. Der Anfang vom Ende begann, als ich mit 18 Jahren zum Studium nach Graz kam und sah, dass man ordentlich üben muss. Wir haben den ganzen Tag und die ganze Nacht geübt und abends auch noch gespielt. Aus jetziger Sicht wäre es ganz einfach gewesen, mein Schicksal zu verändern, indem man mir beigebracht hätte, wie man Trompete spielt, wie das funktioniert. Es ist eine Technik, die für Kinder oder Jugendliche nicht schwer ist. Meine Lehrer sahen leider nicht, dass meine Atemtechnik völlig inexistent war. Drei Jahre lang spielte ich immer auf meiner Lippe. Und da ich sehr fleißig war, habe ich eben jeden Tag gespielt, bis kein Ton mehr heraus kam. Es gab einen Punkt, an dem ich im letzten Stück von einem Konzert auf der Bühne keinen Ton mehr herausbrachte. Ich dachte, die Trompete hat ein Loch. Irgendwo ist etwas kaputt. Bis ich merkte, dass die Lippe keine Spannung erzeugte. Bei Blechbläsern funktioniert das oft, dass man einen Tag weniger macht – im Winter sind die Muskeln nicht so aufgewärmt. Ich dachte, ich mache jetzt zwei Tage Pause, aber dann merkte ich, das geht nicht. Die Oberlippe war gelähmt. Ich mußte Konzerte absagen. Immer mehr wurde mir klar, das ist etwas Stärkeres, Größeres, was außerhalb meiner Vorstellungskraft liegt. Irgendwann mit 20, 21 Jahren war mir klar: Ich war einmal Trompeter.
Eyecatcher Boulevard-Medien
Reproduktion von Afrika-Bildern beim Festival „Ke Nako“:
Be-Bilderung, Standstills und Meinungs-Bild-ung: Wie reproduzierte das Festival „Ke Nako“ positive Afrika-Bilder, die aber gängigen Mechanismen folgen? Im folgenden Beitrag fordert die Autorin ein mutiges zeitgenössisches Afrikabild und die Abkehr von (Selbst-) Exotisierungen.
Zum Thema „Bilder“ ein kleines Coming-Out: Als ich vor kurzem zum ersten Mal in meinem Leben auf Krone-online landete, war ich äußerst erstaunt, wieviele kleine Bildchen sich am Cover, also auf der Startseite dieses beliebten österreichischen Boulevard-Mediums befinden. Ich suchte um die Bilder herum nach den Texten, den Artikeln zu den Fotos und konnte keine finden, bis mir jemand sagte, du mußt direkt auf die Bilder drauf klicken … Bilder und Fotos sind sehr wichtig, gerade in der unterbewussten Meinungs-bild-ung – diesen Umstand haben Boulevardmedien genau erkannt. Die so genannten „Qualitätsmedien“ berücksichtigen diese Erkenntnis aber eher nicht.
Jerusalem: Rinde spinning und Riot Police
Warum wird den einen nur das „bloße Leben“, das nackte Überleben zugestanden? Warum schützt ein Staat nur seine Bürger und Bürgerinnen und erklärt andere, die im gleichen Gebiet wohnen, für vogelfrei? Die Ausstellung „Bare Life“ des Jerusalemer Museums „On the Seam“ thematisierte, wie Staaten mit der Taktik der Exklusion arbeiten.
Fünf Minuten vom Damaskus Tor mit seinen den Markt in der Altstadt besuchenden durcheinander eilenden Menschenmassen entfernt, liegt an der vierspurigen „Road Number one“, die zur amerikanischen Kolonie führt, das „Museum on the Seam“. Bewusst auf der „Nahtstelle“ zwischen den jüdischen und arabischen Vierteln Jerusalems angesiedelt, nimmt sich dieses soziopolitische Museum für zeitgenössische Kunst der Menschenrechte an. In einer ehemaligen Militärkaserne untergebracht, ist heute aus den Bullaugen-Fenstern mit den metallenen Fensterläden eine Allee von Orangenbäumchen zu sehen. Staatliche Versuche, das bloße Leben an sich zu kontrollieren, sind das Thema der hier ausgestellten Interventionen von 42 KünstlerInnen aus der ganzen Welt. Anselm Kiefer ist vertreten und auch Bruce Naumann, dessen Videoinstallation eines glatzköpfigen Mannes, der sich ständig singend zu Musik dreht („Rinde spinning“, 1992), schwer auszuhalten ist. Konzepte des Nachdenkens über das „bloße Leben“, der Gewalt über Leben und Tod und den Folgen von schnellen Entscheidungen im Windschatten von Regierungsbeschlüssen sind weltweit existenziell. Künstlerische Bearbeitung und Utopienfindung sind in diesem Bereich international dringend notwendig. Diesen Beitrag weiterlesen »
Anselm Kiefer: „Ruinen sind für mich ein Normalzustand“
Der Maler Anselm Kiefer wuchs direkt nach dem Zweiten Weltkrieg mit Ruinen und Trümmern im Blickfeld auf: „Das ist ein Zustand der Transition, des Umschwungs, der Veränderung. Mit den Steinen, die in den großen Städten von den sogenannten Trümmerfrauen – heute fast schon ein mythologischer Begriff – gereinigt wurden, baute ich Häuser.“ Ein überaus dichter Interviewband ist Klaus Dermutz da gelungen, voll lyrischer Fragen und eigener Überlegungen nach der Gnosis, der Mystik und Kosmogonie Isaak Lurians und dem Einfluss von Gedichten Ingeborg Bachmanns und Paul Celans auf Kiefers Kunst. Es zeigt sich, wie viel mehr ein Interviewer erreichen kann, wie tief schöpfen, der sich auf einen Künstler spezialisiert, ihm in seinen Werken folgt.