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postheadericon Die unwirkliche Wirklichkeit

Schön und traurig: Das Leopold-Museum zeigt Bilder von Zoran Music.

Zoran Music in seinem Atelier in Venedig

„Sein Thema war es, in der Finsternis Leuchtpunkte zu finden“, sagt der Kurator, „Beziehungspunkte, Bezugspunkte“. Denn der Maler Zoran Music, dem gerade im Wiener Leopold Museum ein ganzes Stockwerk gewidmet wird, war Überlebender des KZ Dachau. Unter dem Verdacht ein Spion zu sein, in Ljubljana verhaftet, konnte Music sich entscheiden an die Front oder in das Konzentrationslager zu gehen. Er wählte Dachau. Nach dem Karst im slowenischen Gebiet, der Akademiemalerei in Zagreb und Bilder von Spaniens karger Landschaft, zeichnete Zoran Music fortan also dort. Viele seiner Bilder musste er selbst wieder zerstören – sie aufzubewahren wäre zu gefährlich gewesen. Er arbeitete zwölf Stunden am Tag als Dreher in einer unterirdischen Munitionsfabrik und überlebte auf diese Weise. Er male nicht dokumentarisch, sagte Music selbst Jahre später, sondern um selbst überleben zu können, um zu begreifen, dass er Subjekt ist.

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postheadericon Schattenstreifen von Tigerpferden

Der wunderliche Tiergarten in Frankfurt am Main und seine Beschriftungen zur Kolonialzeit.

Am Goethehaus vorbei und quer durch die Fußgängerzone geschlendert, am gut besuchten Markt bei der Konstablerwache entlang, nach einem starken Kaffee beim Türken – draußen unter der Markise sitzend, kann man in den Frankfurter Zoo gehen. Der Tiergarten ist sehr grün, flach und verwinkelt – ein bißchen altmodisch und nicht so „aufgemaschelt“ wie in Wien Schönbrunn. Die Erklärungs-Tafeln sind wunderlich-wundervoll und manchmal beinahe literarisch gehalten. „Trampeltier. Die liebe Verwandschaft, ihr Familienname ist: Kamel!“ Dann gibt es noch Dromedar, Alpaca, Altewelt- und Neueweltkamele. Wussten Sie, warum ein Tigerpferd Streifen besitzt? „Tigerpferde erkennen sich gegenseitig an dem unverwechselbaren Muster – wie Kleidung. Einige Steppenzebras haben zwischen den schwarzen Streifen hellere, teils braune Schattenstreifen.“

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postheadericon Glasscheiben zwischen zwei Welten

Von Geldspezialisten und Affen in Frankfurt am Main. Das Frankfurter Leben kreist um den Main. Auf der einen Flussseite die «Dippesmess», ein Jahrmarkt mit Riesenrad und Apfelwein, auf der anderen die Museen am Schaumainkai. Ein Rundgang.

 

Fünf Banker sitzen auf einer Holzbank vor einem schicken veganen Laden und schauen in ihre Salatschüsseln. Eng aneinander gedrängt wie Vögel auf der Stange, in ihren typischen, zu kleinen blauen Sakkos. Davor ein Obdachloser, der sich aus einem Mistkübel Reste angelt. Wenn man dem Obdachlosen Essen in die Hand drückt, sperren die Banker Augen und Münder auf, überraschter als der wilde Mann mit dem roten Bart. Als ob es unsichtbare Glasscheiben zwischen den zwei Welten gäbe: Banker und Obdachlose – die ignorieren sich nicht einmal, würde man in Österreich sagen. Leben aber nebeneinander her, ihre Wege kreuzen sich ständig.

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postheadericon Fagott auf Weltreise

Hörbuch für „Migrationslücken“.

 

Wie ist das nun mit „Herkunfts-Kulturen“ von Kindern und der „Kultur“ der Aufnahmegesellschaft? Auch wenn soziale Kulturen keine Inseln sind und sich ständig vermischen, gibt es gewisse Traditionen in Familien. Wie zum Beispiel in der Musik. „Manche Kinder verstummen schon im Kindergarten“, warnt eine Sprachpädagogin bei der Präsentation des Hörbuchs „Sieben Blätter und ein Stein“ und berichtet, wie schwierig es sei, Kinder wieder aus diesem Schweigen herauszuholen. Die Kinder flüchten in eine Fantasiewelt, weil ihre Muttersprache und ihre Traditionen in der Schule überhaupt nicht vorkommen und sie sich auf deutsch (noch) schlecht ausdrücken können. „Es klafft eine Lücke“, sagt Wei-Ya Lin, die Hörbuch-Herausgeberin: „Obwohl die Wiener Gesellschaft nach mehreren Einwanderungswellen längst multikulturell geworden ist, sind das Bildungssystem und die betreffende Gesetzgebung noch lange nicht darauf vorbereitet. In den Schulen entsteht dadurch eine Lücke.“

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postheadericon Unerklärliche Trauerwolke

Sachbuch: Familiäre Befragungen zur NS-„Euthanasie“.

 

Von einer Bekannten habe ich erfahren, dass ihre Schwester jahrelang Therapie brauchte, um herauszufinden, dass ihre Urgroßmutter Opfer der „Euthanasie“ geworden war. Die Oma hatte als Kleinkind den Schock erlebt, plötzlich und völlig ohne Erklärung ihre Mutter zu verlieren. Da diese Oma das Mädchen großzog, übertrug sich der Schock auf das Enkelkind. Ohne Worte, aber mit erhöhter, zu Beginn unerklärlicher Selbstmordgefahr.

Dass es so ein tiefes Schweigen um die Ermordung von „Euthanasie“-Betroffenen in der Nazi-Zeit gibt, hat verschiedene Gründe: Einer kann sein, dass oft einzelne, sehr nahe Verwandte eine Mitschuld an der Einweisung einer Person (gar Bruder, Schwester oder Vater) trugen, die dann in weiterer Folge zur Ermordung führte. Dem jungen Kärntner Politikwissenschaftler Bernhard Gitschtaler ist es nun gelungen, das Thema anders anzugehen: Er befragte unter anderen Neffen und Onkels, also etwas entferntere Verwandte, die zum Teil selbst schon Nachforschungen gestartet hatten – die zwar mit betroffen, aber noch handlungsfähig und neugierig waren.

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