Autorenarchiv
Runde und offene Ruinen der Moderne
Ausstellung zum billigen Baumittel Beton.
Zwei Lehrer von der HTL für Bautechnik schauen sich mit lauter Jungs die Ausstellung „Beton“ in der Kunsthalle Wien an. Von „Zug pro Quadratmeter“ ist die Rede, dass man rechnen muss, weil Beton praktisch kein Volumen hat und sich verflüssigt. „Hochgeheim ist die Rezeptur, unglaublich“, sagt ein Lehrer. Die jungen Männer schauen sich Fotos von verfallenen Mietskasernen an, „Add Elegance to your Property“ hat jemand auf die Betonmauer vor den leerstehenden Häusern gesprüht. Es geht viel um Architektur und Wohnen, um Beton als Baumittel der 60er, 70er Jahre – in der Italo-Moderne zum Beispiel, in der man eine weltoffene Gestaltung haben wollte. Viele Bauwerke sind rund und offen, durchlässig. Die Bautechniker fassen alles an, klopfen überall drauf auf die Kunstwerke und hauen sich ab über ein blaues Plexiglas mit Loch drin. Völlig unauffällig steht ein Betonwerk der Bildhauerin Isa Genzken im Raum, ein Betonquader mit einem kleinen Loch, der „Luke“ (1986) heißt.
Traumweltherrscher
Popkulturelle Fluchtlinien zum Thema Pogrom und Shoah.
Das Buch wirkt so, als ob ein paar Kapitel fehlen würden. Es ist viel zu dünn. Es fehlen praktisch noch zwei Drittel. Der deutsche Literaturwissenschaftler Jonas Engelmann trug in einem ersten Versuch Variationen von Fluchtlinien für und von jüdischen Menschen zusammen, die mit Hilfe der Popkultur den Mechanismen der Verfolgung entkommen möchten. Engelmann fand unter anderem literarische Strategien, die Shoah als „Teil der Struktur“ von Literatur in die Sprache einzubauen. So wechseln in „W oder die Kindheitserinnerungen“ von Georges Perec permanent die Erzählebenen. Es geht um eine Insel, auf der die gesellschaftliche Ordnung über Sport funktioniert. Mit Hilfe von Verschiebungen und Leerstellen weist das Buch über sich hinaus. Zum Beispiel auf den Roman „Anton Voyls Fortgang“ von Perec, der ohne den Buchstaben E auskommt, einem „Lipogramm-Roman“. Er überlebte in einem Kinderheim versteckt, seine Mutter starb in Auschwitz. Perec schrieb die Abwesenheit, die Vernichtung der europäischen Juden direkt in die Sprache als Abwesenheit ein. Fehlende Eeeeeeeeeeeeeeeeees. Millionen! Die Technik erinnert etwas an Marianne Fritz, die versuchte, dem Thema Krieg über Bild und Sprache gleichzeitig näherzukommen. Der „Lesefluss“ will sich nicht einstellen, „ich bin ganz nah am Tod, wo gischtfingrig nach mir grapscht“. Kein E.
Kriegsuntauglicher Max Beckmann
Wie den Tod, wie die Ermordung naher Angehöriger integrieren? Momentan würde man sich wünschen, dass viele Flüchtlinge offiziell kriegsuntauglich sein dürften, ähnlich dem Maler Max Beckmann im Ersten Weltkrieg.
Wie den Krieg und seine Zerstörungen integrieren? Wie den Glauben an die Menschheit wiederherstellen und trotz allem Freude am Leben fördern? „Mir ist ganz recht, dass Krieg ist. Meine Kunst kriegt hier zu fressen“, schrieb der Maler Max Beckmann über den Ersten Weltkrieg. Er hatte sich freiwillig als Sanitäter gemeldet, aber nach eineinhalb Jahren erlitt er einen geistigen und körperlichen Zusammenbruch und wurde kriegsuntauglich geschrieben. Beckmann wurde niedergebeugt vom Zusammenbruch seiner Gewissheiten. „Der Krieg zerstörte etwas in ihm, seine Unschuld vielleicht und mehrere Jahre sehen wir ihn bei dem verzweifelten Versuch sich selbst wieder zu finden. Das verlorene Selbst ist ein falsches, das unbewiesene Selbst“, schrieb die Schwester Wendy Beckett in dem Buch „Die Suche nach dem Ich“. „Seine Art, auf seinem Selbst herumzuharfen, alles am Krieg, außer seinen Farbvaleurs auszublenden, war in Wirklichkeit der verzweifelte Versuch, seine geistige Gesundheit zu bewahren. Hinter der tapferen Brutalität seiner Briefe lauert Angst von fast psychotischen Ausmaßen.“ Achtzig Selbstbildnisse mit viel Schwarz sind die Folge.
„Was macht Frontex in unserem Parlament?“
Flüchtlinge als ExpertInnen Nummer 1 – Eine Konferenz in Hamburg. Auf der Flüchtlingskonferenz in Hamburg erläutern SprecherInnen die Lage in den Transitländern Marokko und Tunesien. Was bei solchen Tagungen meist nicht der Fall ist, passierte hier wie selbstverständlich: Die wirklichen Fachleute waren stark vertreten. Über 2000 Flüchtlinge besuchten die dreitägige Refugee Conference. Kerstin Kellermann beobachtete für den Augustin.
„Es ist Europas Versagen, den Verletzten und Verletzlichen keine Sicherheit zu geben“, sagt eine afrikanische Flüchtlingsfrau auf dem Pressetermin zur Konferenz auf Kampnagel in Hamburg, zu der so viele Betroffene angereist sind. „Wir wollen etwas beitragen für die Gesellschaft, um die Knospen der Änderung aufspringen zu lassen. Im Moment wachsen Kinder unter völlig inakzeptablen Umständen in isolierten Flüchtlingslagern auf. Wir wollen Lösungen und Aktionen finden, um politische Änderungen zu fördern.“ Draußen vor dem Fenster ist ein riesiger Verschiebe-Kran zu sehen, das Tanzquartier Kampnagel ist in einer alten Fabrik angesiedelt. „Ich bin sehr traurig“, sagt ein alter Rom aus Mazedonien, „dass Flüchtlinge in diesem Niemands-Elendsland an der griechischen Grenze Polizeigewalt erleben müssen. Auch in Deutschland ist es für uns Roma sehr anstrengend geworden mit dieser zunehmenden rechtsextremen Gewalt.“ Die Strukturen kollabierten zunehmend, ist hier der Tenor, „die Situation kann nicht so bleiben“. Viele Flüchtlinge sehen das so, dass zunehmend auch ihre eigene Bereitschaft, politisch zu handeln, gefragt wäre.
Triumphale Behauptung von Normalität
Die Fluchtgeschichte des Hans Kohlseisen nach Irland.
„Und ich reise noch immer“: Das Buch fällt durch seine schöne, spannende Sprache auf und liest sich wie ein Abenteuer. Es sticht in seinen ungewöhnlichen Wendungen hervor unter den Büchern, die Fluchtgeschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus betreffen. Den „besonderen Tonfall, seine zuweilen kecken Formulierungen und seine bemerkenswerten Assoziationen“ wollte Margarete Affenzeller aufzeichnen, die sich als Ghostwriterin (Anm. komisches Wort für die Gespenster des Nationalsozialismus) für den als Jugendlichen nach England geschickten Hans Kohlseisen betätigte.