Archiv für die Kategorie „Kommentar“

postheadericon Kriegsuntauglicher Max Beckmann

Wie den Tod, wie die Ermordung naher Angehöriger integrieren? Momentan würde man sich wünschen, dass viele Flüchtlinge offiziell kriegsuntauglich sein dürften, ähnlich dem Maler Max Beckmann im Ersten Weltkrieg.

 

Wie den Krieg und seine Zerstörungen integrieren? Wie den Glauben an die Menschheit wiederherstellen und trotz allem Freude am Leben fördern? „Mir ist ganz recht, dass Krieg ist. Meine Kunst kriegt hier zu fressen“, schrieb der Maler Max Beckmann über den Ersten Weltkrieg. Er hatte sich freiwillig als Sanitäter gemeldet, aber nach eineinhalb Jahren erlitt er einen geistigen und körperlichen Zusammenbruch und wurde kriegsuntauglich geschrieben. Beckmann wurde niedergebeugt vom Zusammenbruch seiner Gewissheiten. „Der Krieg zerstörte etwas in ihm, seine Unschuld vielleicht und mehrere Jahre sehen wir ihn bei dem verzweifelten Versuch sich selbst wieder zu finden. Das verlorene Selbst ist ein falsches, das unbewiesene Selbst“, schrieb die Schwester Wendy Beckett in dem Buch „Die Suche nach dem Ich“. „Seine Art, auf seinem Selbst herumzuharfen, alles am Krieg, außer seinen Farbvaleurs auszublenden, war in Wirklichkeit der verzweifelte Versuch, seine geistige Gesundheit zu bewahren. Hinter der tapferen Brutalität seiner Briefe lauert Angst von fast psychotischen Ausmaßen.“ Achtzig Selbstbildnisse mit viel Schwarz sind die Folge.

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postheadericon Die Arbeit der Erniedrigung

mostafa-elrhandouriDen Bildern aus dem Erstaufnahmezentrum von Traiskirchen entströmt eine gewisse Leere. Bilder aus Flüchtlingslagern führen in einen „zentralen Strudel“.

 

„Der Krieg ist keine Sache der Gefühle. Er ist eine Sache der Abwesenheit von Gefühlen. Ebendiese Leere ist das Kriegsgefühl“, schreibt Georges Didi-Hubermann in „Remontagen der erlittenen Zeit“. Ich weiß noch genau, wann mich dieses Gefühl der Leere in meiner eigentlich journalistischen Arbeit mit Flüchtlingen das erste Mal überkam: Das war, als eine wunderschöne junge Frau aus dem Kongo neben meinem Schreibtisch stand, in der Redaktion unserer Flüchtlingszeitung, und geduldig wartete, ob ich einen Schlafplatz auftreiben würde. Ich wusste genau, wenn ich nichts für sie finde, wird sie die Nacht wieder bei irgendeinem österreichischen Mann verbringen müssen – der Lohn für seinen Schlafplatz einforderte oder auch nicht. Dabei war sie zu uns in die Zeitung gekommen, nachdem sie aus der Prostitution ausgestiegen war. Sie suchte eine andere Möglichkeit, finanziell zu überleben. Um unsere Flüchtlings-Zeitungen am Westbahnhof zu verkaufen, zog sie einen langärmeligen, schwarzen Pullover und weite Jeans an. Trotzdem schwirrten die österreichischen Männer „wie die Geier“ um sie herum. Wir mussten drei männliche Zeitungsverkäufer abstellen, um sie zu beschützen.

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postheadericon Der Überflieger

Von grandiosen Bruchlandungen und den mörderischen Handlungen des „falschen Selbst“ das „richtige“ zu retten. Ein Versuch, sich den Mord an 159 Menschen durch die Hypothesen der Psychoanalytikerin Alice Miller zu erklären.

 

Es gibt schon Möglichkeiten, extrem seltsames Verhalten zu beschreiben, ohne auf die klassischen psychiatrischen Diagnosen zurückzugreifen. Man kann es zumindest probieren, den Mord an 159 Menschen näher zu untersuchen. „Das sind abgespaltene Zustände der Seele“, sagte ein Psychiater im Fernsehen, denn anscheinend kam eine andere Persönlichkeit, eine neue Figur in dem Co-Piloten des Fluges 9525 German Wings zum Vorschein. Das „falsche Selbst“ vernichtet das „wahre Selbst“, wenn es keine Möglichkeit, keine Hoffnung mehr sieht, wie das „wahre Selbst“ leben könnte, ist die Theorie der Shoah-Überlebenden und Psychoanalytikerin Alice Miller. Das „falsche Selbst“ übernimmt die völlige Kontrolle. Miller argumentiert entlang den Modellen Grandiosität/Innere Leere und Depression, zwei Seiten einer Medaille. Ohne seinen Flugschein hätte es für Andreas L. keine Möglichkeit mehr gegeben, seine Grandiosität durch das Steuern riesiger Flugzeuge zu erleben. Ohne Freundin keine Möglichkeit mehr, Grandiosität zu demonstrieren, wie noch durch den Kauf von zwei Audis kurz vor der Trennung. Diese grandiosen Lösungen zur Abwehr von Depression und innerer Leere funktionierten nicht mehr. Die Grandiosität brach in sich zusammen. Es ist zu einfach zu sagen, man kann nicht alle schrecklichen Zustände der Seele des Menschen erklären, denn unsere Gesellschaft fördert das Grandiositäts-Modell, viele Menschen leben ihr „falsches Selbst“, übernehmen sich und wer am Grandiosiätsmodell scheitert, wird aussortiert. Es folgt zumeist eine Bruchlandung auf der Straße.

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postheadericon „Ich habe Angst, aber ich gerate nicht in Panik“

Ein „transkulturelles Thema“ anläßlich der Morde in Norwegen: Die Handlungsfähigkeit von Menschen im Angesicht des Todes und die mediale Berichterstattung dazu. Das SMS aus dem Titel stammt von einem Mädchen vor Ort direkt während der Verfolgungen. Es gilt den emotionalen Widerstand der migrantischen und norwegischen Jugendlichen zu würdigen.

Frei nach der amerikanischen Schriftstellerin, Regisseurin und Fotografin Susan Sontag und ihrem Buch „Das Leiden anderer betrachten“ sollte Kriegs- und Gewalt-Berichterstattung die Leser mit einem Gefühl zurücklassen, dass es möglich ist, Veränderungen am Zustand der Welt zu initiieren und sie nicht in Hilflosigkeit und Ohnmacht versetzen. Die Kriegs-Berichterstatterin bewegte sich selbst immer an der Grenze des inneren Zulassens des beobachteten Grauens und einer weiter fort bestehenden Handlungsfähigkeit entlang. Susan Sontag traf ihre Foto-Auswahl für die großen US-Medien ganz bewußt nach diesem Kriterium.

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