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In Österreich unterdrückte Lebensgeschichten
Wo sind linke jüdische Strukturen, die es in Österreich sehr wohl gab, abgeblieben? Hazel Rosenstrauch suchte und befragte Mitwirkende an der Wiener Zeitschrift »Tagebuch«. Inzwischen gibt es eine Neuauflage dieser legendären Publikation.
Als sich die Journalistin Hazel Rosenstrauch nach langer Abwesenheit Ende 1988 in Wien niederlässt, trifft sie auf ein alt bekanntes Milieu, das »auf Außenstehende anachronistisch oder zumindest exotisch wirken muss« – auf Menschen, die ihr aus der eigenen Familie her vertraut erscheinen. »Ihre Biografien sind von Verfolgung, Emigration, Antifaschismus und Antistalinismus geprägt. Sie sind aus der Partei ausgetreten oder hinaus geschmissen worden, als der Prager Frühling niedergewalzt wurde. Das Wiener Tagebuch war ihr Rückgrat«, schreibt Rosenstrauch. Sie nennt diese »Kultur einer Minderheit in der Minderheit“, eine Stammeskultur. Ein »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« und die Kritik am Stalinismus bestimmten diese Stammeskultur. In Wien hätte sich ein »längst überholtes kommunistisches Lebensgefühl« mehr als anderswo erhalten. Sie befragt diese Leute, sucht nach ihrem Erbe – auch nach jüdischen Verbindungen in dieser Bewegung. Teilweise schwierig, denn: »Sie haben ihr Leben lang gelernt zu agitieren, in fertigen Sätzen mit pädagogischer Absicht das Positive hervorzuheben«. Ein feiner, liebevoller Humor kennzeichnet Hazel Rosenstrauchs Buch »Beim Sichten der Erbschaft. Wiener Bilder für das Museum einer untergehenden Kultur« durchgehend aus.
Fagott auf Weltreise
Hörbuch für „Migrationslücken“.
Wie ist das nun mit „Herkunfts-Kulturen“ von Kindern und der „Kultur“ der Aufnahmegesellschaft? Auch wenn soziale Kulturen keine Inseln sind und sich ständig vermischen, gibt es gewisse Traditionen in Familien. Wie zum Beispiel in der Musik. „Manche Kinder verstummen schon im Kindergarten“, warnt eine Sprachpädagogin bei der Präsentation des Hörbuchs „Sieben Blätter und ein Stein“ und berichtet, wie schwierig es sei, Kinder wieder aus diesem Schweigen herauszuholen. Die Kinder flüchten in eine Fantasiewelt, weil ihre Muttersprache und ihre Traditionen in der Schule überhaupt nicht vorkommen und sie sich auf deutsch (noch) schlecht ausdrücken können. „Es klafft eine Lücke“, sagt Wei-Ya Lin, die Hörbuch-Herausgeberin: „Obwohl die Wiener Gesellschaft nach mehreren Einwanderungswellen längst multikulturell geworden ist, sind das Bildungssystem und die betreffende Gesetzgebung noch lange nicht darauf vorbereitet. In den Schulen entsteht dadurch eine Lücke.“
Triumphale Behauptung von Normalität
Die Fluchtgeschichte des Hans Kohlseisen nach Irland.
„Und ich reise noch immer“: Das Buch fällt durch seine schöne, spannende Sprache auf und liest sich wie ein Abenteuer. Es sticht in seinen ungewöhnlichen Wendungen hervor unter den Büchern, die Fluchtgeschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus betreffen. Den „besonderen Tonfall, seine zuweilen kecken Formulierungen und seine bemerkenswerten Assoziationen“ wollte Margarete Affenzeller aufzeichnen, die sich als Ghostwriterin (Anm. komisches Wort für die Gespenster des Nationalsozialismus) für den als Jugendlichen nach England geschickten Hans Kohlseisen betätigte.
Kaleidoskop des jüdischen Proletariats
Neues Sachbuch zu Ottakring und Hernals.
Das neu erschienene Buch über das jüdische Leben in der Wiener Vorstadt ist erstaunlich. Akribisch und fleißig haben die beiden Autorinnen wie in einem Kaleidoskop tausende bisher großteils unbekannte Einzelheiten, Daten und Fakten ausgeforscht und zusammengetragen. Wer mit jüdischen Menschen bisher hauptsächlich das Bürgertum verband, wird überrascht sein, wie viele jüdische Kommunist_innen und Sozialist_innen eifrig versuchten, die Lebensumstände in ihrem Arbeiterbezirk zu verändern und ihr Umfeld bzw. die Wiener Gesellschaft hin zum Positiven zu beeinflussen.
„Nieder mit den nazistischen Blutsäufern!“
„Wiener, erschlagt die braunen Bluthunde“, schrieb ein junger Laborant, den Zettel bewahrte er leider in seiner Brieftasche auf. Das Papier mit den Verfluchungen diente dem „Mischling ersten Grades“ als heimlicher Trost, da er wegen seiner Abstammung verspottet wurde. Sein jüdischer Vater flieht 1938 und lässt seine Kinder zurück (es wird nicht erwähnt warum). Als Wolfgang Pogner seine Brieftasche verliert, führt das Zettelchen zu seinem Untergang. In der Untersuchungshaft besucht ihn seine Schwester Susi. Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ wird der junge Mann vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und mitleidslos aus seiner „Armesünderzelle“ heraus am 5. Dezember 1944 im Landesgericht Wien hingerichtet.