Artikel-Schlagworte: „Flüchtlinge“
Breitenwaida bleibt menschlich
Über Dörfer, die wollen, dass „ihre“ Flüchtlinge bleiben.
Großstelzendorf, Breitenwaida, Groß-Enzersdorf, Strasshof – es ist schön zu hören, wie Dörfer und Kleinstädte um ihre eingemeindeten Flüchtlinge kämpfen. In der Stadt hingegen bleiben Flüchtlinge oft anonym und können dann ohne viele Aufsehen und Federlesens abgeschoben werden. Braitenwaida hilft sogar drei afghanischen Jugendlichen, die in der Steiermark angesiedelt sind und nach Kroatien verschoben werden sollen. Mahnwachen werden abgehalten, Dorfbewohner_innen engagieren sich – eine erfreuliche Entwicklung für Menschen, die alles verloren haben.
Die junge palästinensische Frau mit Baby, über die der Augustin in der letzten Ausgabe berichtete, hat hingegen inzwischen „aufschiebende Wirkung“ durch den Verfassungegerichtshof erhalten. Was bedeutet, dass sie aus Zagreb wieder einreisen und in Österreich auf „den Ausgang des Verfahrens“ warten darf. Momentan wird im Raum Groß-Enzersdorf eine Wohnmöglichkeit für die kleine Familie gesucht. „Der Verfassungsgerichtshof schickte die aufschiebende Wirkung“, berichtet Margit H. aus Groß-Enzersdorf. „Ohne Begründung. Der Verfassungsgerichtshof begründet nicht. Nun wollen sie zurück nach Groß-Enzersdorf zu ihren Freunden.“ Die Frage bleibt, wohin Palästinenser, die oft staatenlos sind, überhaupt abgeschoben werden könnten? Österreich drückte sich vor einer Entscheidung, stieg gar nicht erst ins Asylverfahren ein, sondern schickte die Familie nach Kroatien.
Kriegsuntauglicher Max Beckmann
Wie den Tod, wie die Ermordung naher Angehöriger integrieren? Momentan würde man sich wünschen, dass viele Flüchtlinge offiziell kriegsuntauglich sein dürften, ähnlich dem Maler Max Beckmann im Ersten Weltkrieg.
Wie den Krieg und seine Zerstörungen integrieren? Wie den Glauben an die Menschheit wiederherstellen und trotz allem Freude am Leben fördern? „Mir ist ganz recht, dass Krieg ist. Meine Kunst kriegt hier zu fressen“, schrieb der Maler Max Beckmann über den Ersten Weltkrieg. Er hatte sich freiwillig als Sanitäter gemeldet, aber nach eineinhalb Jahren erlitt er einen geistigen und körperlichen Zusammenbruch und wurde kriegsuntauglich geschrieben. Beckmann wurde niedergebeugt vom Zusammenbruch seiner Gewissheiten. „Der Krieg zerstörte etwas in ihm, seine Unschuld vielleicht und mehrere Jahre sehen wir ihn bei dem verzweifelten Versuch sich selbst wieder zu finden. Das verlorene Selbst ist ein falsches, das unbewiesene Selbst“, schrieb die Schwester Wendy Beckett in dem Buch „Die Suche nach dem Ich“. „Seine Art, auf seinem Selbst herumzuharfen, alles am Krieg, außer seinen Farbvaleurs auszublenden, war in Wirklichkeit der verzweifelte Versuch, seine geistige Gesundheit zu bewahren. Hinter der tapferen Brutalität seiner Briefe lauert Angst von fast psychotischen Ausmaßen.“ Achtzig Selbstbildnisse mit viel Schwarz sind die Folge.
„Was macht Frontex in unserem Parlament?“
Flüchtlinge als ExpertInnen Nummer 1 – Eine Konferenz in Hamburg. Auf der Flüchtlingskonferenz in Hamburg erläutern SprecherInnen die Lage in den Transitländern Marokko und Tunesien. Was bei solchen Tagungen meist nicht der Fall ist, passierte hier wie selbstverständlich: Die wirklichen Fachleute waren stark vertreten. Über 2000 Flüchtlinge besuchten die dreitägige Refugee Conference. Kerstin Kellermann beobachtete für den Augustin.
„Es ist Europas Versagen, den Verletzten und Verletzlichen keine Sicherheit zu geben“, sagt eine afrikanische Flüchtlingsfrau auf dem Pressetermin zur Konferenz auf Kampnagel in Hamburg, zu der so viele Betroffene angereist sind. „Wir wollen etwas beitragen für die Gesellschaft, um die Knospen der Änderung aufspringen zu lassen. Im Moment wachsen Kinder unter völlig inakzeptablen Umständen in isolierten Flüchtlingslagern auf. Wir wollen Lösungen und Aktionen finden, um politische Änderungen zu fördern.“ Draußen vor dem Fenster ist ein riesiger Verschiebe-Kran zu sehen, das Tanzquartier Kampnagel ist in einer alten Fabrik angesiedelt. „Ich bin sehr traurig“, sagt ein alter Rom aus Mazedonien, „dass Flüchtlinge in diesem Niemands-Elendsland an der griechischen Grenze Polizeigewalt erleben müssen. Auch in Deutschland ist es für uns Roma sehr anstrengend geworden mit dieser zunehmenden rechtsextremen Gewalt.“ Die Strukturen kollabierten zunehmend, ist hier der Tenor, „die Situation kann nicht so bleiben“. Viele Flüchtlinge sehen das so, dass zunehmend auch ihre eigene Bereitschaft, politisch zu handeln, gefragt wäre.
Triumphale Behauptung von Normalität
Die Fluchtgeschichte des Hans Kohlseisen nach Irland.
„Und ich reise noch immer“: Das Buch fällt durch seine schöne, spannende Sprache auf und liest sich wie ein Abenteuer. Es sticht in seinen ungewöhnlichen Wendungen hervor unter den Büchern, die Fluchtgeschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus betreffen. Den „besonderen Tonfall, seine zuweilen kecken Formulierungen und seine bemerkenswerten Assoziationen“ wollte Margarete Affenzeller aufzeichnen, die sich als Ghostwriterin (Anm. komisches Wort für die Gespenster des Nationalsozialismus) für den als Jugendlichen nach England geschickten Hans Kohlseisen betätigte.
Die Arbeit der Erniedrigung
Den Bildern aus dem Erstaufnahmezentrum von Traiskirchen entströmt eine gewisse Leere. Bilder aus Flüchtlingslagern führen in einen „zentralen Strudel“.
„Der Krieg ist keine Sache der Gefühle. Er ist eine Sache der Abwesenheit von Gefühlen. Ebendiese Leere ist das Kriegsgefühl“, schreibt Georges Didi-Hubermann in „Remontagen der erlittenen Zeit“. Ich weiß noch genau, wann mich dieses Gefühl der Leere in meiner eigentlich journalistischen Arbeit mit Flüchtlingen das erste Mal überkam: Das war, als eine wunderschöne junge Frau aus dem Kongo neben meinem Schreibtisch stand, in der Redaktion unserer Flüchtlingszeitung, und geduldig wartete, ob ich einen Schlafplatz auftreiben würde. Ich wusste genau, wenn ich nichts für sie finde, wird sie die Nacht wieder bei irgendeinem österreichischen Mann verbringen müssen – der Lohn für seinen Schlafplatz einforderte oder auch nicht. Dabei war sie zu uns in die Zeitung gekommen, nachdem sie aus der Prostitution ausgestiegen war. Sie suchte eine andere Möglichkeit, finanziell zu überleben. Um unsere Flüchtlings-Zeitungen am Westbahnhof zu verkaufen, zog sie einen langärmeligen, schwarzen Pullover und weite Jeans an. Trotzdem schwirrten die österreichischen Männer „wie die Geier“ um sie herum. Wir mussten drei männliche Zeitungsverkäufer abstellen, um sie zu beschützen.