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Familiengeschichte und Einsamkeit
Das Jüdischen Museum Wien zeigt endlich die Ausstellung „Die Dritte Generation. Der Holocaust im familiären Gedächtnis“.
Warum waren alle diese Betroffenen in der Öffentlichkeit über Jahrzehnte so wenig präsent? Sie waren mit ihren Eltern, Großeltern und mit Recherchen zur Familiengeschichte beschäftigt. In einer Kooperation der Jüdischen Museen Wien und München werden nun endlich Kunstwerke von Kindern und EnkelInnen der Holocaust-Überlebenden gezeigt. Die amerikanische Künstlerin Dwora Fried baut in Holzboxen vom Flohmarkt die Geschichte ihrer Familie ein. Eine schwarze Kiste heißt „Sigmund“ (2023) – neben Trachtenpüppchen hängt ein Foto der Künstlerin als Mädchen mit ihren Eltern beim Wiener Eislaufverein. „Meine Mutter konnte mich als Baby nicht füttern“, erzählt Dwora Fried mit steinerner Miene, „weil sie es nicht ausgehalten hat, wenn Babys in der Nacht schreien. Das erinnerte sie an die Nazis, die Babies aus dem Fenster schmissen.“ Ihre Mutter redete erst mit den Enkeln über Auschwitz: „Ich dachte immer, sie wird tot umfallen, wenn ich sie etwas frage“. Im Katalog gibt es viele Stimmen von Betroffenen zu lesen, die noch keine Übersetzung ihres Lebens in Kunstformen „geschafft“ haben.
Ersterscheinung im Augustin, Nummer 606, 9. 10. – 22. 10. 2024
Fürchterliche Geister
Sanja Ivekovic: Ausstellung und Publikation.
Durch ihre Ausstellung in der Kunsthalle Wien konnte die Künstlerin Sanja Ivekovic endlich die Gedichte ihrer Mutter veröffentlichen. „Sanja Ivekovic ist jemand, die Sentimentalität vermeidet“, sagt eine der Direktorinnen der Kunsthalle Wien bei der Präsentation des Gedichtebands von Ivekovics Mutter, die in Auschwitz war. „Auch wenn Themen wie die Rolle der Kämpferinnen nach dem Krieg Sanja sehr beeinflussten, wird sie diese nie direkt ansprechen.“ Die Mutter, Nera Safaric-Ivekovic, drückte sich sehr eigen und schön aus: „Ich frage mich, warum ihr die Köpfe unter den Armen tragt, wenn es nicht regnet.“ Im Jahre 1988 brachte sich die Mutter um, zu ihren Lebzeiten erschienen allein drei Gedichte. Auf einem schwarzen Tisch in der Ausstellung „Works of the Heart 1974-2022“ liegen zwei Exemplare des großen wunderschönen Buches „Weh dem, der sich vor Geistern fürchtet“ auf, das in einer limitierten Auflage von 200 Stück in der Kunsthalle auch zu kaufen ist. Sanja Ivekovic verstand die Lebensgeschichte ihrer Mutter als „außerordentliche Case Study über den Widerstand des Einzelnen gegen Autoritarismus jeglicher Couleur“, sagt die Direktorin. „Knochen an Knochen auf dem Baum des belaubten Todes“, schrieb die Mutter, und „…ich weiß selbst nicht wo ich mich suchen soll“. Zwei jungen Leuten gefallen in der Ausstellung besonders die roten zerknüllten Zettel am Boden, auf denen die Rechte von Flüchtlingsfrauen stehen, die „man in Österreich mit Füßen tritt“.
Ersterscheinung im Augustin Nummer 565, 14. 12. 2022 – 17. 1. 2023
Schwäche zeigen hat damals den Tod bedeutet
Über 30.000 Überlebende des Holocaust hat der Nationalfonds im Laufe der Jahre unterstützt. Im September wird die neugestaltete österreichische Länderausstellung im ehemaligen KZ Auschwitz eröffnet. Nationalfonds-Generalsekretärin Hannah Lessing über ihre anders ausgelebte Schauspiel-Karriere, ihren apodiktischen Vater und ihre in Auschwitz ermordete Großmutter, die Konzertpianistin war.
Wie lief es während Corona mit Ihrer Arbeit mit den Holocaust-Überlebenden?
Leider sind sehr viele gestorben. Einige durch Covid. Vielen hat aber auch die Einsamkeit zu schaffen gemacht. Manche fragten sich, was kann ich noch machen, wenn die Schulen, in die als Zeitzeugin gehe, versperrt sind? Es war schwierig, Kontakt zu halten. Ich hatte mehrere große Video-Konferenzen für Senior Jewish Retirement Homes. Eine Überlebende in Albany ist jetzt 101 Jahre alt geworden! Mein Großcousin in Israel ist als letzter Lessing aus dieser Generation gestorben.
Ihre Eltern waren extrem kreativ, die Mutter Traudl Lessing in Texten, der Vater Erich Lessing in Bildern. Sie haben aber Wirtschaft studiert. Konnten Sie Ihre Kreativität mit Zahlen ausleben?
Nein! Gar nicht! Wirtschaft habe ich studiert, weil ich meinen Traumberuf als Schauspielerin nicht realisieren konnte. Als Jugendliche spielte ich in dem Film „Holocaust“ mit Meryl Streep mit. Das war eine Miniserie, wir drehten in Mauthausen. Ich hatte meinen Vater so lange getriezt, bis er sagte, eine Freundin castet gerade für einen riesigen Hollywood Film, bei dem kannst du mitspielen. Auch bei Tarabas, einer Josef Roth-Verfilmung in der Regie von Mischa Kehlmann, war ich dabei. Die Aufnahmeprüfung im Reinhardt-Seminar verpasste ich, weil ich in Israel im Kibbuz verlängert hatte. Es hat sich durch meinen Beruf dann sowieso ergeben, dass ich viel auf der Bühne stehe. Meine erste Rede hielt ich 1995 in Israel, kurz nach dem Attentat auf Yitzhak Rabin. Seit damals habe ich weltweit unzählige Reden gehalten.
Banana Split und keine Angst
Comic Strips mit Superheldinnen, Karikaturen über Künstler oder Zeichnungen aus dem Lager Blechhammer: Das Museum Judenplatz zeigt künstlerische Überlebens-Strategien.
Ein Sigmund Freud mit großer Brille über einem bunten Teil hängend, das einer Blumenschale ähnlich sieht. Titel: „Dr. S. Freud kostet seinen ersten Banana-Split“. In Amerika! Ein Psychoanalytiker, der sagt „It’s perfectly alright to be a swine.“ Auf dem Sofa liegt (erraten): ein Schwein. Der Zeichner Peter Paul Porges aus Wien Fünfhaus (mit zwölf Jahren auf den Kindertransport) dachte, wenn er bei einer New Yorker Zeitung arbeite, dürfe er endlich Zeichnungen erstellen, um „Leute zu erziehen“. Doch er durfte nicht: „Du musst die Leute so dumm wie möglich lassen, um etwas mit ihnen anfangen zu können – sie zu benutzen“, ist sein Fazit im Filminterview. Er amüsierte sich aber trotzdem prächtig. Das Museum am Judenplatz zeigt bis 17. November 2019 drei KünstlerInnen, die, den Nazis entkommen, ihre ganz eigenen Vorstellungen und Interpretationen des amerikanischen Lebensstils vor ihrer Nase abbildeten. Doch „das Deutsche“ bleibt trotz Flucht in den Zeichnungen. „Less Sturm! Less Drang! Less Punk“, kommentiert zum Beispiel eine Mutter zu ihrem übertrieben übenden Kind am Klavier. Oder: „Sie haben eine Lebensmittel-Vergiftung“, sagt ein Arzt zu einem im Bett liegenden Künstler. Über dem Kranken hängen gemalte, überdimensionale Zitronen, Zwiebel, Fische an der Wand…
Whiteread: Das Luft-Anhalten, das Nicht-Atmen-Dürfen
Im 21er Haus am zugigen Hauptbahnhof werden die Arbeiten der britischen Bildhauerin Rachel Whiteread gezeigt. Die Entwürfe für ihr Mahnmal am Judenplatz sind auch dabei. Nur noch bis 29. Juli.
Damals war es eine fürchterliche Aufregung. Ohne Simon Wiesenthal würde es das Mahnmal von Rachel Whiteread am Wiener Judenplatz wohl gar nicht geben. Der kämpferische Überlebende Simon Wiesenthal hatte 1994 gegen Hrdlickas Mahnmal gegen Krieg und Faschismus protestiert, an dem er dessen jüdische Figur als „Fortschreibung der Demütigung“ interpretierte. Der Auftrag für eine eigenständiges Mahnmal gegen die Shoah war daher, ein nicht figürliches Mahnmal zu bauen. Die internationale Jury entschied sich 1996 für die britische Künstlerin Rachel Whiteread, die damals noch sehr jung und eher unbekannt war. Doch die ganze Debatte dauerte sehr lange, bis Herbst 2000, denn Teile der jüdischen Gemeinde wollten lieber die alte Synagoge freilegen und von oben her zugänglich machen. Die Lösung, dass die Synagoge nun vom Museum aus zugänglich ist, ist aber auch sehr schön. Die Synagoge wirkt wie aus der Erde herausgeschält und hat etwas altes Mystisches, Kompaktes, das am hellen Tageslicht nicht so gut zu erkennen wäre.