Artikel-Schlagworte: „Kolonialismus“

postheadericon Die Befreiung imaginieren

Tiefblauer Himmel, orangenes Licht: Frauen ziehen in der Morgendämmerung durch das Gelände des Outdoor-Museums eines afroamerikanischen Künstlers in der kalifornischen Wüste. Eine Frau trägt ein Transistorradio auf der Schulter, aus dem die Stimme der Jazzmusikerin Alice Coltrane tönt („Sojourner“, 2018, von Couleen Smith). Schön kühl ist es und viel Platz gibt es hier. In der MUMOK-Ausstellung „Avant-Garde and Liberation. Zeitgenössische Kunst und dekoloniale Moderne“ versammelt Kurator Christian Kravagna Kunstwerke mit Referenz auf frühere KünstlerInnen oder TheoretikerInnen. Denn es geht in der Ausstellung um eine „Imagination der Befreiung“ plus Entwickeln von Verfahren zur Realisierung von Freiheit. Dazu wird eben gerne Bezug auf bereits erfolgreiche künstlerische Methoden genommen. So bezieht sich die Autorin Jesmyn Ward angesichts des Unfassbaren auf James Baldwin, um ihrer Sprachlosigkeit zu entkommen, wie Kurator Kravagna im Katalog schreibt: „I needed words“. Serge Attukwei Clottey, der 1999 in Wien lebte, verwendet in seinen Bildern Klebebänder, weil Marcus Omofuma bei seiner Abschiebung mit solchen Klebebändern fixiert wurde, weswegen er starb.

Lesebrille nicht vergessen, da extrem viel Text!

Serge Attukwei Clottey
James Baldwin, 2020–2021
Ölfarbe, Plakate und Klebeband auf Korkplatte
Courtesy of the artist and Simchowitz Gallery, Los Angeles
© Bildrecht, Wien 2024

Ersterscheinung im Augustin Nummer 602, 31. 7. – 27. 8. 2024

postheadericon Sauls Leuchtkasten – Ein Nachruf auf Saul Leiter

Saul Leitner - Walking - 1956

Saul Leitner – Walking – 1956

Der Fotograf, der als erster die künstlerische Farbfotografie entdeckte und mit den Farben des Lebens Schatten und Silhouetten malte, ist tot. Saul Leiter wandert nicht mehr jeden Tag im New Yorker East Village durch die Straßen, auf der Suche nach „Bruchstücken von Erinnerungen“.

 

„Ich mag es, wenn man nicht sicher ist, was man sieht“, sagte der New Yorker Fotograf Saul Leiter einmal. „Wenn man nicht weiss, warum der Fotograf ein Bild gemacht hat und wir nicht wissen, warum wir es anschauen, so entdecken wir plötzlich, dass wir mit dem Sehen beginnen. Diese Verwirrung mag ich.“ Wenn man 2012 aus der großen Saul Leiter-Ausstellung im Wiener Kunsthaus mit seinem unebenen Boden ins Schneetreiben heraus kam, merkte man, was Leiter meinte, seine Fotos wirken nach, man schaut anders und sieht plötzlich überall „coloured pictures“. Fahrräder unter Schneehauben, das schräge Licht eines Scheinwerfers – man klickt plötzlich selber Leiter-Fotos im Kopf.

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postheadericon Berliner Konferenz: Export der sozialen Frage nach Afrika

"World Walking" von William Kentridge / MOMA Museum New York

Sie teilten sich den Kongo, ein Gebiet achtzigmal größer als Belgien, einfach unter sich auf: König Leopold II. von Belgien und der deutsche Bismarck unterzeichneten 1884 in Berlin einen Vertrag, in dem Deutschland versicherte, die belgische Kolonialpolitik im Kongo zu tolerieren, Belgien hingegen garantierte dem deutschen Schnaps- und Waffenhandel keine Einschränkung aufzuerlegen. „Die Schnapsausfuhr von Hamburg nach Westafrika war von 1875 bis 1884 auf mehr als das Dreifache gestiegen“, schreibt Pierrette Herzberger-Fofana in ihrem faktenreichen, spannenden Buch „Berlin 125 Jahre danach. Eine fast vergessene deutsch-afrikanische Geschichte“. Auch sollte einer Revolution vorgebeugt werden: „Das wichtigste Argument für den Besitz von Kolonien war der Export der sozialen Frage, um ein Ventil für die sozialen Spannungen in Deutschland zu schaffen.“ Das Buch erschien nun in der von Esperance-Francois Ng. Bulayumi herausgegebenen Reihe des Afroasiatischen Institutes Wien.

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