Artikel-Schlagworte: „Kunst“
Die Befreiung imaginieren
Tiefblauer Himmel, orangenes Licht: Frauen ziehen in der Morgendämmerung durch das Gelände des Outdoor-Museums eines afroamerikanischen Künstlers in der kalifornischen Wüste. Eine Frau trägt ein Transistorradio auf der Schulter, aus dem die Stimme der Jazzmusikerin Alice Coltrane tönt („Sojourner“, 2018, von Couleen Smith). Schön kühl ist es und viel Platz gibt es hier. In der MUMOK-Ausstellung „Avant-Garde and Liberation. Zeitgenössische Kunst und dekoloniale Moderne“ versammelt Kurator Christian Kravagna Kunstwerke mit Referenz auf frühere KünstlerInnen oder TheoretikerInnen. Denn es geht in der Ausstellung um eine „Imagination der Befreiung“ plus Entwickeln von Verfahren zur Realisierung von Freiheit. Dazu wird eben gerne Bezug auf bereits erfolgreiche künstlerische Methoden genommen. So bezieht sich die Autorin Jesmyn Ward angesichts des Unfassbaren auf James Baldwin, um ihrer Sprachlosigkeit zu entkommen, wie Kurator Kravagna im Katalog schreibt: „I needed words“. Serge Attukwei Clottey, der 1999 in Wien lebte, verwendet in seinen Bildern Klebebänder, weil Marcus Omofuma bei seiner Abschiebung mit solchen Klebebändern fixiert wurde, weswegen er starb.
Lesebrille nicht vergessen, da extrem viel Text!
Serge Attukwei Clottey
James Baldwin, 2020–2021
Ölfarbe, Plakate und Klebeband auf Korkplatte
Courtesy of the artist and Simchowitz Gallery, Los Angeles
© Bildrecht, Wien 2024
Ersterscheinung im Augustin Nummer 602, 31. 7. – 27. 8. 2024
„Du hast gerufen?“
Als Kind von den Nazis verfolgt, heute von Unmengen an Erinnerungen beseelt: Der Galerist Thomas Frankl hat es momentan eilig vom Schicksal seiner erweiterten Familie zu berichten. Die Bilder seines Vaters, des Auschwitz Überlebenden Adolf Frankl, ruhen derweil ungesehen in einem Depot.
„Meine Großmutter hat die Toten gewaschen!“ Kurzes Nachdenken. „In Friedenszeiten nahm sie immer meine Mutter mit.“ Der inzwischen 88-jährige Thomas Frankl war als jüdisches Kind vor den Nazis erfolgreich bei Nonnen versteckt worden. Die Ursulinen waren Kundinnen im Stoff-, Möbel- und Tapezier-Geschäft seiner Eltern gewesen. Der Ort, in dem das Kloster stand, hieß Sveti Kriz. Zeitweise lebten Thomas und seine Schwester Erika Frankl aber auch im Bunker der „Gerechten-Familie“ Holubek, die alles Töchter hatte. Man hatte immer Angst, eventuell angezeigt zu werden. Damit der Kleine für Fremde nicht auffällt und ein bisschen an die frische Luft kommt, musste er im Garten ein Kopftuch und Mädchenkleidung tragen. Später, nach der Befreiung, war Thomas Frankl in der Modemacher-Branche in Wien und New York tätig.
„Jüdische Tote werden gewaschen und ihnen wird ein Todesmantel angelegt. Einen Todesmantel von meinem Vater haben wir noch – ich glaube, er besaß zwei Stück. In weiß!“, ruft er in den Telefonhörer. Irgendwie erzählt Thomas Frankl in letzter Zeit sehr viel und sehr schnell von seiner Familie, früher scherzte er mehr und amüsierte sich. Momentan scheint er es eilig zu haben, Informationen weiterzugeben: „Mein Vater war vor Auschwitz ein Lebemann, meine Eltern haben sich beim Tennis kennengelernt. Sie haben die Hochzeitsnacht in Wien im Hotel Imperial verbracht! Damals ist man von Pressburg nach Wien auf einen Kaffee gefahren. Schon meine Urgroßeltern waren gebildete Leute und besuchten bestimmte Theaterstücke in Wien. Sie sind leider bei dem großen Wiener Ringtheaterbrand umgekommen. Deswegen durften ihre Kinder und wir später niemals die Oper Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach anschauen.“ Sein Opa, Oskar Nachmias, der Vater seiner Mutter, wuchs alsdann als Waisenkind auf.
Fürchterliche Geister
Sanja Ivekovic: Ausstellung und Publikation.
Durch ihre Ausstellung in der Kunsthalle Wien konnte die Künstlerin Sanja Ivekovic endlich die Gedichte ihrer Mutter veröffentlichen. „Sanja Ivekovic ist jemand, die Sentimentalität vermeidet“, sagt eine der Direktorinnen der Kunsthalle Wien bei der Präsentation des Gedichtebands von Ivekovics Mutter, die in Auschwitz war. „Auch wenn Themen wie die Rolle der Kämpferinnen nach dem Krieg Sanja sehr beeinflussten, wird sie diese nie direkt ansprechen.“ Die Mutter, Nera Safaric-Ivekovic, drückte sich sehr eigen und schön aus: „Ich frage mich, warum ihr die Köpfe unter den Armen tragt, wenn es nicht regnet.“ Im Jahre 1988 brachte sich die Mutter um, zu ihren Lebzeiten erschienen allein drei Gedichte. Auf einem schwarzen Tisch in der Ausstellung „Works of the Heart 1974-2022“ liegen zwei Exemplare des großen wunderschönen Buches „Weh dem, der sich vor Geistern fürchtet“ auf, das in einer limitierten Auflage von 200 Stück in der Kunsthalle auch zu kaufen ist. Sanja Ivekovic verstand die Lebensgeschichte ihrer Mutter als „außerordentliche Case Study über den Widerstand des Einzelnen gegen Autoritarismus jeglicher Couleur“, sagt die Direktorin. „Knochen an Knochen auf dem Baum des belaubten Todes“, schrieb die Mutter, und „…ich weiß selbst nicht wo ich mich suchen soll“. Zwei jungen Leuten gefallen in der Ausstellung besonders die roten zerknüllten Zettel am Boden, auf denen die Rechte von Flüchtlingsfrauen stehen, die „man in Österreich mit Füßen tritt“.
Ersterscheinung im Augustin Nummer 565, 14. 12. 2022 – 17. 1. 2023
Gefäße der Bewegung
Friedl Dicker-Brandeis: Multimediale Künstlerin der Moderne.
Was bleibt von einer sehr beweglichen Künstlerin? Tusche- und Kohlezeichnungen auf beigem Papier. Fragile Werke in Glastischen. Ein blaues Gewölbe mit Blumen auf Gold, knarrende Holzböden. Im Wiener Heiligenkreuzerhof ist gerade zu sehen, wie spannend eine Ausstellung sein kann, in der eigentümliche Räume mit der ausgestellten Kunst kooperieren und diese neu präsentieren. Ursprünglich befand sich hier die barocke, großbürgerliche Wohnung eines Abtes.
Schwäche zeigen hat damals den Tod bedeutet
Über 30.000 Überlebende des Holocaust hat der Nationalfonds im Laufe der Jahre unterstützt. Im September wird die neugestaltete österreichische Länderausstellung im ehemaligen KZ Auschwitz eröffnet. Nationalfonds-Generalsekretärin Hannah Lessing über ihre anders ausgelebte Schauspiel-Karriere, ihren apodiktischen Vater und ihre in Auschwitz ermordete Großmutter, die Konzertpianistin war.
Wie lief es während Corona mit Ihrer Arbeit mit den Holocaust-Überlebenden?
Leider sind sehr viele gestorben. Einige durch Covid. Vielen hat aber auch die Einsamkeit zu schaffen gemacht. Manche fragten sich, was kann ich noch machen, wenn die Schulen, in die als Zeitzeugin gehe, versperrt sind? Es war schwierig, Kontakt zu halten. Ich hatte mehrere große Video-Konferenzen für Senior Jewish Retirement Homes. Eine Überlebende in Albany ist jetzt 101 Jahre alt geworden! Mein Großcousin in Israel ist als letzter Lessing aus dieser Generation gestorben.
Ihre Eltern waren extrem kreativ, die Mutter Traudl Lessing in Texten, der Vater Erich Lessing in Bildern. Sie haben aber Wirtschaft studiert. Konnten Sie Ihre Kreativität mit Zahlen ausleben?
Nein! Gar nicht! Wirtschaft habe ich studiert, weil ich meinen Traumberuf als Schauspielerin nicht realisieren konnte. Als Jugendliche spielte ich in dem Film „Holocaust“ mit Meryl Streep mit. Das war eine Miniserie, wir drehten in Mauthausen. Ich hatte meinen Vater so lange getriezt, bis er sagte, eine Freundin castet gerade für einen riesigen Hollywood Film, bei dem kannst du mitspielen. Auch bei Tarabas, einer Josef Roth-Verfilmung in der Regie von Mischa Kehlmann, war ich dabei. Die Aufnahmeprüfung im Reinhardt-Seminar verpasste ich, weil ich in Israel im Kibbuz verlängert hatte. Es hat sich durch meinen Beruf dann sowieso ergeben, dass ich viel auf der Bühne stehe. Meine erste Rede hielt ich 1995 in Israel, kurz nach dem Attentat auf Yitzhak Rabin. Seit damals habe ich weltweit unzählige Reden gehalten.