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In den Himmel sehen
Enkel bringt Armin Freudmanns Gedichte zum Leuchten.
Durch Sprache eine gewisse Distanzierung erreichen und sich doch gleichzeitig einlassen auf die eigenen Gefühle: Diese Schwierigkeit drücken die Gedichte von Armin Freudmann aus, die er zwei Jahre lang im Konzentrationslager schrieb. Erst weigerte er sich noch. In dem Gedicht „Das Lagertagebuch“ meint Freudmann, dass der Vater dieses Tagebuchs „das Sinnen“ sei. „Seine Mutter wäre das Sehnen. Ich könnte es schreiben mit Tränen – es wäre ein Zeitvertreib.“ Seine Gedichte reimen sich vornehm und elegant, sind von zeitloser Ironie und zeigen die jüdisch-bildungsbürgerliche Erziehung des Kommunisten. „Doch müsst ich, mein Kind, dich verbergen, (…) weil Schreiben verboten mir ist. Sie würden dich finden und töten. Und auch ich würde umgebracht.“ „Mein Großvater gebar Gedichte“, sagte Eduard Freudmann, der Enkel, bei seiner Wiener Performance „The White Elephant Archive“ im Theater Hamakom. Seine Oma stellte ein Familien-Archiv zusammen, das in einer Kiste über seinen Onkel Gottfried zu ihm kam und Edi zehn Jahre lang obsessiv beschäftigte. Immer wieder entwarf der Künstler Projekte dazu, zweifelte aber und gab sie wieder auf. Nun fand er endlich eine Form, auf ganz eigene Weise für die dritte Generation nach der Shoah, einige der Ambivalenzen seiner Familiengeschichte darzustellen. Wie den Bruch, dass die Großmutter, eine Kommunistin nach Sowjetunion-Muster, aus Ärger über ihren Maoisten-Sohn, der in einem Flugblatt die Sowjetunion mit Hitler verglich, nicht mehr ihre eigenen Erinnerungen aufschrieb.
Prater: „Das Ruder nicht aus der Hand geben“
Tochter des Wiener Wurstelpraters und einer Geisterbahn-Mutter: Die Autodrom-Chefin Katja Kolnhofer entstammt einer der ältesten Familien des Wiener Wurstelpraters. Nun möchte sie hinter ihrem „Super-Autodrom“ noch ein Fahrgeschäft, eine Attraktion hinstellen.
Am Rande des Autodroms stehen zwei ältere Damen und schauen sehnsüchtig in die Runde, während eine Frau mit Kind im Autochen mit Gummiumrandung sichtlich Spaß am Zusammenstoß mit anderen elektrischen Wägen hat. Katja Kolnhofer, die Chefin des „Super-Autodroms“ mitten im Wiener Wurstel Prater, besitzt ihre eigene, in sämtlichen Regalen bis obenhin vollgestopfte, Werkstatt. „Oft bricht eine Lötstelle am Wagen, das ist schnell gemacht, manchmal muss man Kabel nachziehen oder frisch anlegen“, fuchtelt Kolnhofer mit dem Lötkolben in der Luft herum. „Die 28 Autos sind bereits dreißig Jahre alt, es ist täglich etwas hin. Aber sie sind an sich schon sehr robust, ähnlich wie mein alter Einser Golf!“, lacht sie. Katja Kolnhofer stammt aus einer der alten Familien im Prater, vor 56 Jahren baute ihr Urgroßvater mit seinem Bruder die Vergnügungsbetriebe auf. 1921 von Ungarn nach Österreich ausgewandert, mietete Uropa Philipp Kolnhofer das allererste Cafe-Restaurant in der Prater Hauptallee an. Später übernahmen die beiden noch ein zweites Cafè-Restaurant in der Hauptallee und verpflegten Zwangsarbeiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte sich sein Sohn, Philipp Kolnhofer II., als Obmann des Praterverbandes und half bei der Entnazifizierung und Neuparzellierung tatkräftig mit.
Dabernig: Die Leere rocken
Der Bildhauer, Filmemacher und multimediale Künstler Josef Dabernig im mumok: Nach Jahrzehnten voll komplizierter Zahlenkunst drehte Josef Dabernig Filme mit sehr persönlichem Zugang. Humor, sagt er, sei ein „Selbstbehauptungs-Vehikel“ in disziplinierenden Strukturen.
Schlurfs, Schimmler, Selbstverstümmler: Widerständiges Sandleiten
Wenn die Politik sich nicht aufraffen kann, zukünftigen Generationen den Zusammenhang von Repression und zivilem Ungehorsam in Erinnerung zu rufen, muss die Kunst einspringen; im Falle des „roten“ Sandleitenhofs im 16. Bezirk taten das die Engagierten rund um das SOHO IN OTTAKRING-Projekt.
Kein Denkmal in der riesigen Gemeindewohnanlage aus den 1920er Jahren erinnert beispielsweise an die zwanzig jüdischen Menschen, die 1938 ihre Wohnungen verlassen mussten. Auch im Kongressbad gibt es keine Hommage an die hingerichteten jugendlichen Deserteure. Eine Tafel für den Widerstandskämpfer Heinrich Klein ist immerhin in Planung. Innerhalb von zwei Wochen mussten die Zwanzig im August 1938 ihre Sozialwohnungen verlassen. Emil Libesny, Klavierstimmer, Rudolf Spielmann, Steindrucker, Hermann Ratyn, Schriftsetzer… Kündigungsgrund nach den Akten des Bezirksgerichtes Hernals: Nichtarier. „Der Angeklagte ist schuldig, die Wohnung zu übergeben“, schrieb das Gericht. Marie Spielmann, die Tochter von Rudolf Spielmann protestierte: Ihr Vater sei Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen und leide an den Kriegsverletzungen. Es nutzte nichts. Siegmund Feldmar, Schuhmachermeister, Erwin Adler, Kaufmann. Die Geschäftsfrau Margarethe Gorbulsky schickte ihre Einwände an die Behörde: Ihr Mann erblindete nach dem Kriegsdienst und Flecktyphus vollständig. „Ich selbst bin derzeit im achten Monat schwanger. Wir haben die Ausreise vorbereitet“. Das Kündigungsschreiben an David Klein aus der Gomperzgasse 1-7, Stiege 2, Tür 5 konnte nicht zugestellt werden, da er sich in Dachau befindet. Auch der Ledergalanteriearbeiter Karl Freud und sein Vater endeten nach der Delogierung in Dachau.
Shanghai Bilder, Bilder-Lager und Straßenbild
Herr Karoly verlässt nach 48 Jahren seinen Standort. Ein Installateur wird in sein Bilder- und Rahmengeschäft ziehen: Harry Karoly, wegen den Nazis in Shanghai geboren, verlässt nach 48 Jahren sein Geschäftslokal in Ottakring.
„Schauen Sie mal, das sind die neuesten, nicht abgeholten Bilder. Eine Vorausbezahlung wäre ein zu großer administrativer Aufwand. Sie haben ja eh das Bild, sagen die Leute.“ Nach 48 Jahren im gleichen Geschäft am selben Ort in der Ottakringer Vorstadt, in der Nähe der Ottakringer Bierfabrik, sperrte Harry Karoly nun sein Rahmen- und Bildergeschäft zu. Es hängen keine Vorhänge mehr vor den Bilder-Vitrinen in der Neulerchenfelder Straße 71. Schon mit 24 Jahren machte Harry Karoly sich selbstständig. „Ich arbeitete als bürokaufmännischer Lehrling in einer Möbelfabrik im Import, Export und lernte den Sohn eines Bilderhändlers kennen. Im ‚Allgemeinen ersten Einkaufszentrum’ – das AEZ war damals so etwas wie die Lugner City heute. Von dort aus wurde ‚Autofahrer unterwegs’ gesendet.“ Der kleine, feine Mann mit der goldumrandeten Brille schaut gelassen aus, in seinem halb leer geräumten Geschäft zwischen lauter Bildern sitzend. In den Schaufenstern liegen weitere Bilder. „Die Bilderhändler-Familie nahm mich anschließend an den Wochenenden mit auf Ausflüge. Ich war ja ein gescheites Bürscherl und lernte schnell. Meine Mutter wurde befürsorgt, ist aber immer lieb zu mir gewesen.“ Über die näheren Umstände der Fürsorge-Maßnahme mag er nicht reden. „Meine Mutter war ein wiederkehrender Flüchtling, gezwungenermaßen geflüchtet vor dem 1000-jährigen Reich.“ Harry Karoly, der Mädchenname der Mutter war Gerstl, wurde 1942 in Shanghai geboren. Es gab ein Kontingent von 35.000 jüdischen Menschen, die nach Shanghai einreisen durften. „Meine Großeltern hatten in der Breiten Gasse ein Möbelgeschäft, das ihnen weggenommen wurde. Die nahen Anverwandten haben überlebt, aber es sind schon Verwandte umgekommen.“