Artikel-Schlagworte: „Kunst“
Die Räume zwischen den Wörtern hassen
Venediger Kunstbiennale und „Salon der Angst“ auf der Suche nach dem Zipfel des Universums: Machen Menschen „mit besonderen geistigen Bedürfnissen“ die spannendere Kunst? Von Obsessionen, Systemen und Strukturen: In die venezianische Biennale-Wunderkammer ist sehr viel „Art Brut“ eingeflossen. Im Wiener „Salon der Angst“ dominiert „das Abbild“.
Antiheldenhafte Serien-Kunst, bildhafte Obsessionen, eifrige und fleißige Suche in Systemen und Strukturen: Die Kunst Biennale in Venedig zeigt unter dem Titel „Der Palast der Enzyklopädie“ sehr viele „Art Brut“-Kunstwerke. Was war vorher, die Wissenschaft oder die Kunst? Oder die „Abnomalien“? Oder entstand die Wissenschaft, indem forschende Wächter die „Narren“ und „Närrinnen“ zu beobachten begannen, in den runden „Narrentürmen“, den Vorläufern der Gefängnisse – wie der französische Philosoph Michel Foucault schreibt? Ist Kunst eigentlich sowieso Obsession, oder nur ihre Ausführung und Bearbeitung? Der italienische Kurator Massimiliano Gioni wollte mit seiner Enzyklopädie-Biennale „einen Zipfel des Universums erhaschen“.
Josef Weinheber: „Am tiefsten ergreift der Tote, der Dulder aus Eis!“
Kunstaktion gegen den Weltuntergangsdichter und gläubigen Nazi Josef Weinheber. Ein schweres Betonfundament für die Büste eines antisemitischen Dichters und Protest gegen poetische Todespropaganda: Junge Künstler_innen unterhöhlten am Wiener Schillerplatz das Andenken an Josef Weinheber, der Todesliebe und Geschlechterhaß bedichtete.
Josef Weinheber ist ein gefährlicher Mann. Denn, auch wenn sich der antisemitische Dichter am 8. Mai 1945 selbst umgebracht hat, so leben Teile seiner lebensfeindlichen ideologischen Welt bis heute fort. Josef Weinheber war sich bewußt, dass sein Aufenthalt in Korrektionsanstalt und Waisenhaus, in dem seine 14-jährige Schwester als seine letzte Familienangehörige starb, tiefe Folgen für seinen Charakter hatte. Er beschrieb sich als „Niemandsmann“ und veröffentlichte einen ganzen Roman über seine Zeit im Waisenhaus. Weinheber „arbeitet sich“ von seinen Kindheitstraumata zu einem gewaltigen Frauenhaß „vor“, der in einer (in seiner Zeit üblichen) Verankerung „des Weiblichen“ in Sünde, Triebhaftigkeit und Geistlosigkeit fußt, obwohl er mit zwei schreibenden Frauen verheiratet war. Während er Selbstverlorenheit und Selbstauflösung in sexuellen und alkoholischen Räuschen sucht, wirft er diese aber dem „Gott-Tier und Satan Weib“ vor. Die Soldatenbriefe von der Front, mit der klassischen Aufteilung in „heilige Mütter“ und „zerstörerische Huren“, die Klaus Theweleit publizierte, sind auch schlimm, aber Weinheber geht sogar bis zur Propagierung von „Schändung“, wie der Germanist Albert Berger in seiner genauen Analyse heraus fand*!
gelatin: Kaputt machen! Auf Holzwagerl surfen!
Ausstellung von gelatin im 21er Haus
Der tapfere Pianist beugt sich über das Klavier und produziert über Stunden Töne, die zerbrechlich und fein im Raum stehen. Ein Finne. Vor und oberhalb von ihm ein Riesen Styroporberg, auf dem in schwindliger Höhe die gelatin-Künstler_innen thronen, Löcher bohren und mit Styroporteilen um sich schmeißen. Während der Fluxus-Künstler Wolf Vostell aber in seinen Aktionen Fernsehgeräte und Mercedesse einbetonierte, mit klarem, gesellschaftlichen Statement, entzieht sich die Ausstellung „Loch“ der Künstlergruppe gelatin mit der simplen Berg-Metapher einem zeitgenössischen gesellschaftspolitischen Kontext. Doch das Aufbrechen des Museums, wie es VALIE EXPORT im 20er Haus praktizierte – sie schnitt einen Spalt in die Glaswand und setzte einen Steg in die Luft -, und das Ad-absurdum-Führen musealer Gegenstände durch eine Unmenge an ähnlichen Gips-Skulpturen mit Holzleisten drin und die Möglichkeit fleißig selber zu bauen, lösen sehr wohl die Grenzen zwischen Werk und Betrachterumfeld auf.
Der Purpurblaurabe und die „Realität zweiten Grades“
Tatiana Lecomte im Museum am Judenplatz.
Wie läßt sich eine traumatische Geschichte in Bildern verarbeiten? Wenn jemand etwas sehr Schlimmes erlebt hat, passen für sie oder ihn die Bilder im Kopf nicht immer mit der Realität zusammen. Man kann die Wirklichkeit manchmal nicht einordnen. Standbilder, Flashbacks oder Farbausfälle kennzeichnen ein Trauma – eine Fragmentierung der Wirklichkeit passiert, nur Teile des Geschehens werden noch wahrgenommen. Inkablaurabe oder Rostbauch-Fruchttaube, Bunttukan oder Purpurblaurabe heißen die Vögel, die die Künstlerin Tatiana Lecomte im Wiener Jüdischen Museum am Judenplatz ausstellt. Und damit die erste zeitgenössische Kunst Ausstellung in der kleinen Schwester des großen Jüdischen Museums ausrichtet. Große Schwarzweißfotos von ausgestopften Vögeln aus dem Naturhistorischen Museum stehen auf dem Boden und zeigen einen erstarrten Tod mit einem Rest von Lebendigkeit in den künstlichen Augen.
Yael Bartana und die Flüchtlinge: Fiktiver, aber leerer Kunst-Planet
Der Wiener Flüchtlingsstreik zog ins Museum. Gut, dass die Kunst sich der Herausforderung der Solidarität stellt. Aber niemand erklärte den anwesenden Flüchtlingen, was Kunst, was ein Museum, was ein internationaler Kunstraum beitragen könnte für eine Entschärfung der Lage.
„Wir wollen, dass drei Millionen Juden und Jüdinnen nach Polen zurückkehren“, spricht der Aktivist Slawomir Sierakowski im Film in einer fiktiven Rede vor imaginierten Tausenden von Menschen, „wir wollen, dass ihr wieder mit uns lebt. Wir brauchen euch! Wir fragen euch, ob ihr nicht zurück kommen wollt.“ In ihrer Ausstellung „Wenn Ihr wollt, ist es kein Traum“ in der Wiener Secession wiederholt die israelische Künstlerin Yael Bartana einige Elemente ihrer Schau von der Kunst Biennale Venedig. Mit anderen Mitteln. Waren es in Venedig Schwarz-Weiß-Filme auf großen Leinwänden mit solcherart riesigen Akteuren, z. B. orthodoxen Juden, die einem gleich am Eingang der Installation ins Auge sprangen, so verlässt Bartana sich in Wien eher auf die Ausstrahlung des Objekts und bringt in einer dunklen, grauen Atmosphäre mit gelben Lichteffekten drei Gedenk-Vitrinen voller Gegenstände von Theodor Herzl und Sigmund Freud, sowie einen „Memorial Shrine“ für ihre eigene Bewegung.