Artikel-Schlagworte: „Nationalsozialismus“

postheadericon Anna und ihre Nachfahren

Armut und angeblich „asoziales“ Verhalten brachten Anna Burger ins Konzentrationslager.

„Bis heute hält sich hartnäckig die Sichtweise, die als ‚asozial‘ oder ‚kriminell‘ Verfolgten hätten ihre Haft selbst verschuldet, wären zu Recht im Konzentrationslager gewesen“, schreibt Brigitte Halbmayr in ihrem Buch „Brüchiges Schweigen“ über Anna Burger. Burger wurde als sogenannte „Asoziale“ im KZ Ravensbrück von den Nazis ermordet. Die Nazis verfolgten mit der ihnen eigenen Hartnäckigkeit von Armut betroffene Menschen, sie sollten aus dem angeblich so gesunden „Volkskörper“ eliminiert werden. Bis heute wurde die Opfergruppe vom Gesetzgeber nicht anerkannt. Viele Archive und Nachlässe zu den „asozialen Frauen“ sind noch nicht gesichtet.

Aus Scham schweigen viele Nachfahren von „asozialen“ Frauen leider bis heute. Anna Burgers von der Fürsorge verstreute Kinder hatten selber um das Überleben zu kämpfen, erst ihre Enkelin suchte nach den Spuren ihres Lebens. In jeder Familie gäbe es eine „Gedenkkerze“, steht in dem Buch, also zumeist eine Frau, der unbewusst die Aufgaben der Recherche und der Aufarbeitung übertragen werden.

Brigitte Halbmayr: Brüchiges Schweigen. Tod in Ravensbrück – auf den Spuren der Anna Burger, Mandelbaum Verlag, Wien, Berlin 2023

Ersterscheinung im Augustin, Nummer 575, 24. 5. – 6. 6.2023

postheadericon Ein Riss durch die Welt

Ausstellung: Malerei von Georg Eisler.

Im Alter von sechs Jahren beobachtete Georg Eisler vom Fenster aus, wie im Zuge der Februarkämpfe 1934 ein Uniformierter einen bereits Verletzten auf den Kopf schlug. Ein Menschenzug folgte den beiden auf der Wiener Vorgartenstraße: „Zum ersten Mal merkte ich, wie das bei Brecht heißt, dass ein Riss durch die Welt geht, ich habe zwanzig Jahre später ein großes Ölbild gemalt, wo ich versuchte diesen Kindheitseindruck in eine etwas festere Form zu bringen“, schrieb Eisler in sein Tagebuch. Georg Eisler flüchtete mit seiner Mutter, der Musikerin und Kommunistin Charlotte Demant, die selbst 1914 vor den Russen aus Czernowitz geflüchtet war, vor den österreichischen Faschisten nach England.

Georg Eisler – Straße mit Laufenden
V 1969 Georg und Alice Eisler – Fonds für bildende Künstler und Komponisten, Wien (c) Dominik Buda, Belvedere, Wien

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postheadericon Die Selbstgemordeten der Nazi-Zeit

Vor dem Whiteread-Mahnmal am Wiener Judenplatz wurden in der Gedenkveranstaltung »Das Echo der Namen« am Abend des achten November 2021 die Namen jener Menschen verlesen, die ihrem Leben wegen der Nazis ein Ende setzten.

Foto: Wladimir Fried

Goldenes Licht, gelb schimmernde Glasfenster mit Davidsternen darin. »Betreten wir das Gebiet mit Vorsicht und Respekt«, wird am Anfang gesagt, denn die Wiener Selbstmorde in der Nazizeit sind noch nicht viel erforscht – es sei die erste Veranstaltung zu dem Thema. Das Symposium »Erzwungener Freitod« im Misrachi Haus befasste sich wissenschaftlich erstmalig mit jenen von den Nationalsozialisten als Jüdinnen und Juden verfolgten Menschen, die sich während der NS-Herrschaft das Leben nahmen, um Ausgrenzung, Erniedrigung, Verfolgung bzw. Deportation zu entkommen. »Rabbi Wassermann kam extra aus Jerusalem angereist, um bei unserer Tagung dabei zu sein«, lächelt der Begrüßer. Wir befinden uns im Misrachi Haus am Wiener Judenplatz und in dieser Nacht vom achten auf den neunten November 2021 werden alle Lichter in der Misrachi Synagoge eingeschaltet bleiben, um zu zeigen, dass es »den Nazis nicht gelungen ist, den Juden das Licht auszulöschen«. »That the jewish lights never turned off«, betont Rabbi Wassermann. Die Fenster leuchten nach draußen.

Foto: Wladimir Fried

Éva Kovacs, stellvertretende Direktorin für wissenschaftliche Angelegenheiten am Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI) berichtet, dass Simon Wiesenthal insgesamt drei Selbstmord-Versuche überlebte! Er schrieb: »Was für eine Bitterkeit in mir war… Jetzt mache ich nichts mehr, dachte ich, aber ich habe noch versucht, mich an der Unterhose aufzuhängen, ich versuchte sie zu drehen, zu drehen, doch der Knoten löste sich.« In Folge beschloss er für sich: »Ich glaube, mir ist es erlaubt zu leben« und »den Imperativ des Erinnerns und Recherchierens« anzunehmen.

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postheadericon Den Grazer Stadtpark-Adler verbergen

Der Künstler Eduard Freudmann bemüht sich die tapfere und widerständige Tradition seiner Großeltern fortzuführen, indem er den öffentlichen Raum umgestaltet. In Graz veränderte er das „Befreiungsdenkmal“ im Stadtpark. Die Figur mit dem Adler, der einem Käfig entsteigt und davon fliegt, wurde in einen rosa Sockel gehüllt.

„Mein Großvater gebar Gedichte“, sagte der Künstler Eduard Freudmann bei seiner Wiener Performance „The White Elephant Archive“ im Wiener Theater Hamakom. Seine Großmutter stellte ein Familien-Archiv zusammen, das Freudmann zehn Jahre lang obsessiv beschäftigte. Immer wieder entwarf der Künstler Projekte dazu, zweifelte aber und gab sie wieder auf. Mit seiner Performance fand er dann endlich eine Form, auf ganz eigene Weise für die dritte Generation nach der Shoah, einige Ambivalenzen seiner Familie darzustellen.

Durch sieben Lager hatte Großvater Armin Freudmann seine Gedichte geschmuggelt, den Todesmarsch nach Buchenwald entlang – zweimal rekonstruierte er sie nach Verlust. Sein Enkel hingegen bemüht sich nun schon lange um das Lueger-Denkmal in Wien und war bei einer Mahnwache live dabei, als die Identitären angriffen. Eduard Freudmann hofft dringend auf eine aussagekräftige Intervention zu dem Denkmal: „Die Ehrung von Lueger soll verunmöglicht werden. Eine Wischi-Waschi-Veränderung reicht nicht aus.“ In Graz gestaltete er das „Befreiungsdenkmal“ um.

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postheadericon In Österreich unterdrückte Lebensgeschichten

Wo sind linke jüdische Strukturen, die es in Österreich sehr wohl gab, abgeblieben? Hazel Rosenstrauch suchte und befragte Mitwirkende an der Wiener Zeitschrift »Tagebuch«. Inzwischen gibt es eine Neuauflage dieser legendären Publikation.

Als sich die Journalistin Hazel Rosenstrauch nach langer Abwesenheit Ende 1988 in Wien niederlässt, trifft sie auf ein alt bekanntes Milieu, das »auf Außenstehende anachronistisch oder zumindest exotisch wirken muss« – auf Menschen, die ihr aus der eigenen Familie her vertraut erscheinen. »Ihre Biografien sind von Verfolgung, Emigration, Antifaschismus und Antistalinismus geprägt. Sie sind aus der Partei ausgetreten oder hinaus geschmissen worden, als der Prager Frühling niedergewalzt wurde. Das Wiener Tagebuch war ihr Rückgrat«, schreibt Rosenstrauch. Sie nennt diese »Kultur einer Minderheit in der Minderheit“, eine Stammeskultur. Ein »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« und die Kritik am Stalinismus bestimmten diese Stammeskultur. In Wien hätte sich ein »längst überholtes kommunistisches Lebensgefühl« mehr als anderswo erhalten. Sie befragt diese Leute, sucht nach ihrem Erbe – auch nach jüdischen Verbindungen in dieser Bewegung. Teilweise schwierig, denn: »Sie haben ihr Leben lang gelernt zu agitieren, in fertigen Sätzen mit pädagogischer Absicht das Positive hervorzuheben«. Ein feiner, liebevoller Humor kennzeichnet Hazel Rosenstrauchs Buch »Beim Sichten der Erbschaft. Wiener Bilder für das Museum einer untergehenden Kultur« durchgehend aus.

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