Artikel-Schlagworte: „Obdachlose“
Glasscheiben zwischen zwei Welten
Von Geldspezialisten und Affen in Frankfurt am Main. Das Frankfurter Leben kreist um den Main. Auf der einen Flussseite die «Dippesmess», ein Jahrmarkt mit Riesenrad und Apfelwein, auf der anderen die Museen am Schaumainkai. Ein Rundgang.
Fünf Banker sitzen auf einer Holzbank vor einem schicken veganen Laden und schauen in ihre Salatschüsseln. Eng aneinander gedrängt wie Vögel auf der Stange, in ihren typischen, zu kleinen blauen Sakkos. Davor ein Obdachloser, der sich aus einem Mistkübel Reste angelt. Wenn man dem Obdachlosen Essen in die Hand drückt, sperren die Banker Augen und Münder auf, überraschter als der wilde Mann mit dem roten Bart. Als ob es unsichtbare Glasscheiben zwischen den zwei Welten gäbe: Banker und Obdachlose – die ignorieren sich nicht einmal, würde man in Österreich sagen. Leben aber nebeneinander her, ihre Wege kreuzen sich ständig.
Habitus ohne Mitleid
Rechtsextreme bauen sich gefährliche Gedankengebäude auf. Hauptmordopfer rechter Gewalt sind in Österreich nicht ominöse „Andere“ oder „Fremde“, sondern Obdachlose, weil Neonazi deren körperliche und „soziale Schwäche“ verachten und sie vernichten wollen. Ein Interview mit Andreas Peham, dem Rechtsextremismus-Forscher vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes.
Der Kopfbahnhof. Abgesang auf den Südbahnhof
Nie wieder, für immer, los lassen, Abschied nehmen. Zeiten der Transition und des Abrisses. Unsere Gesellschaft kennt wenig Rituale für gemeinsame Festlichkeiten oder Trauerangelegenheiten. Und auch keine öffentlichen Orte dafür. Wo sind die Fluchtlinien, die eine Gesellschaft nötig hat? Warum war niemand vorbereitet, dass die obdachlosen Bewohner des Südbahnhofes nicht wissen wohin, wenn ihre Wohnstätte gesperrt wird?
An dem Abend, an dem der Südbahnhof zugesperrt und endgültig geschlossen wurde, sah ich mehrere von ihnen: Grantige Obdachlose, die wie aufgezogen und Flipperkugeln gleich mit dem Rucksack auf dem Rücken über die Treppen und durch die große Halle hirschten, mit bösem Gesichtsausdruck in konzentrischen Kreisen ihr Territorium bemassen, nicht glauben konnten, dass eine Ära, ihre Ära zu Ende ginge. Skurille Gestalten feierten an diesem Abend den Abschied vom Südbahnhof, einem Untergang gleich, ihrem Untergang, im Gefühl selbst austauschbar zu sein und älter und einsamer zu werden, in Angst verhaftet und in der zunehmenden Sicherheit, dass auch sie ausgemusterte Figuren seien – ähnlich dem Bahnhof, der ihre Kindheit und Jugend prägte. Tränen standen vielen in den Augen. Der Fortschrittsglaube macht viel kaputt.
Außenseiter_innen suchen Außenseiter_innen
Susanne Peter über Drogenabhängigkeit: „Das fängt ja alles schon viel früher an“
Wie hängen diverse Süchte mit schrecklichen Ereignissen in Kindheit und Jugend zusammen? Eine Sozialarbeiterin des Obdachlosenbetreuungszentrums Gruft und eine Pschologin der Drogentherapiestation im Otto-Wagner-Spital reden mit dem Augustin über die Rolle von Traumata, über umgeleitete Wut und über die Qualität der Therapieangebote.
„Bei uns geht es nicht so sehr darum, in der Vergangenheit zu wühlen oder aufzulösen“, erklärt Susanne Peter von der Gruft, dem Caritas Betreuungszentrum für Obdachlose. „Sondern: Wie kann ich den heutigen Tag überleben und gut leben.“ Auf der Terrasse eines Kaffeehauses in der Nähe der Gruft ist es laut. Eine ältere Frau, altmodisch, aber elegant gekleidet, wird von der Kellnerin abgedrängt. Sie protestiert lautstark. „Wohnungslosigkeit ist ein Trauma, das muss man erst einmal verkraften, auf der Straße zu sein“, sagt Susanne Peter, die schon mit 16 Jahren für die Kirche „Tee und Schmalzbrote“ an Obdachlose verteilte, „du hast kein Bett, keine Privatsphäre, keine Intimsphäre – wenn ich ein Bier trinke, muss man das in der Öffentlichkeit sein. Man lebt vor aller Augen, ohne Rückzugsmöglichkeit. Alkohohl ist dann eine Art von Lösung, aber keine gute oder langanhaltende.“