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Wer aufmuckt, hat verloren
Die Anarchie scheint dahin, ebenso wie das Lustige, Rebellische, Revolutionäre – der Flohmarkt ist kein Volksfest mehr. Auf dem Wiener Naschmarkt wird mit Polizei und Marktamtangestellten schon um zwei Uhr ein Frühschluss durchgesetzt – mit gravierenden Folgen. Ein Besuch.
Die Leichtigkeit ist dahin. Kaum haben die Standler aufgebaut, könnten sie schon wieder abbauen. Jedes Glas einzeln in Zeitungspapier einwickeln. „Es gibt ein Gesetz“, sagt ein rotgewandeter Markt-Beamter. „Eine Verordnung“, verbessert ein anderer. „Das hat der Gemeinderat so beschlossen.“ Das Marktamt beruft sich auf die Politiker, Besucher berufen sich auf die Menschlichkeit und das Gemeinschaftsgefühl. Die gefühlte Gesellschaft, das Gemeinsame. Doch das Lustige, Rebellische, Revolutionäre, das scheint dahin.
„Ich habe die Baupläne gesehen“, behauptet ein flotter Kaffeehauspächter, der aufhören wird. „Die wollen auf längere Sicht den Restaurantnaschmarkt ausbauen!“ Auf Nachfrage meint er, dass das Parkplatz-Areal, auf dem der Flohmarkt stattfindet, mehreren Bezirken gehört, und er die Bebauungspläne auf einer Internet-Seite des Bezirks Margareten gefunden habe. Und weg ist er. Zwei kleine Braune und einen frischen Aschenbecher bringen.
Breitenwaida bleibt menschlich
Über Dörfer, die wollen, dass „ihre“ Flüchtlinge bleiben.
Großstelzendorf, Breitenwaida, Groß-Enzersdorf, Strasshof – es ist schön zu hören, wie Dörfer und Kleinstädte um ihre eingemeindeten Flüchtlinge kämpfen. In der Stadt hingegen bleiben Flüchtlinge oft anonym und können dann ohne viele Aufsehen und Federlesens abgeschoben werden. Braitenwaida hilft sogar drei afghanischen Jugendlichen, die in der Steiermark angesiedelt sind und nach Kroatien verschoben werden sollen. Mahnwachen werden abgehalten, Dorfbewohner_innen engagieren sich – eine erfreuliche Entwicklung für Menschen, die alles verloren haben.
Die junge palästinensische Frau mit Baby, über die der Augustin in der letzten Ausgabe berichtete, hat hingegen inzwischen „aufschiebende Wirkung“ durch den Verfassungegerichtshof erhalten. Was bedeutet, dass sie aus Zagreb wieder einreisen und in Österreich auf „den Ausgang des Verfahrens“ warten darf. Momentan wird im Raum Groß-Enzersdorf eine Wohnmöglichkeit für die kleine Familie gesucht. „Der Verfassungsgerichtshof schickte die aufschiebende Wirkung“, berichtet Margit H. aus Groß-Enzersdorf. „Ohne Begründung. Der Verfassungsgerichtshof begründet nicht. Nun wollen sie zurück nach Groß-Enzersdorf zu ihren Freunden.“ Die Frage bleibt, wohin Palästinenser, die oft staatenlos sind, überhaupt abgeschoben werden könnten? Österreich drückte sich vor einer Entscheidung, stieg gar nicht erst ins Asylverfahren ein, sondern schickte die Familie nach Kroatien.
Morzinplatz,1945: eine Zelle mit vierzig Frauen
Von der Großmutter, die Fallschirmspringer versteckte, und zum Folteropfer der Gestapo wurde. Im Juni wurde das „Hotel Metropol“, ehemalige Gestapo-Zentrale, im Rahmen der Wiener Festwochen geschichtspolitisch durchleuchtet. Auch Jutta und Anna Vitek wurden am Morzinplatz von den Nazis gefangengehalten, weil sie feindlichen Fallschirmspringern Unterschlupf gewährt hatten. Ihr Sohn und Enkel Peter Schwarz erzählt erstmals öffentlich vom Widerstand seiner mutigen Verwandten. Kerstin Kellermann hat den Geschäftsführer des Psychosozialen Zentrums ESRA zum Gespräch getroffen.
Der Sound der Heiligengeistschlucht
Den Berg hinauflaufen, um NS-Flüchtlingen nachzuspüren: Der Filmemacher Gregor Franz Waltl wünscht sich eine gemeinsame Aktion aller NachbarInnen an der steirisch-slowenischen Grenze, um sich der jüdischen Flüchtlinge und der PartisanInnen zu erinnern, die die Sveti Duh- (Heiligengeist-) Schlucht benutzten, um den Grenzkamm zu erreichen. Mit seiner Kopf-Kamera rannte er den Berg hinauf. Kerstin Kellermann über eine ungewöhnliche erinnerungskulturelle Anstrengung.
Schlurfs, Schimmler, Selbstverstümmler: Widerständiges Sandleiten
Wenn die Politik sich nicht aufraffen kann, zukünftigen Generationen den Zusammenhang von Repression und zivilem Ungehorsam in Erinnerung zu rufen, muss die Kunst einspringen; im Falle des „roten“ Sandleitenhofs im 16. Bezirk taten das die Engagierten rund um das SOHO IN OTTAKRING-Projekt.
Kein Denkmal in der riesigen Gemeindewohnanlage aus den 1920er Jahren erinnert beispielsweise an die zwanzig jüdischen Menschen, die 1938 ihre Wohnungen verlassen mussten. Auch im Kongressbad gibt es keine Hommage an die hingerichteten jugendlichen Deserteure. Eine Tafel für den Widerstandskämpfer Heinrich Klein ist immerhin in Planung. Innerhalb von zwei Wochen mussten die Zwanzig im August 1938 ihre Sozialwohnungen verlassen. Emil Libesny, Klavierstimmer, Rudolf Spielmann, Steindrucker, Hermann Ratyn, Schriftsetzer… Kündigungsgrund nach den Akten des Bezirksgerichtes Hernals: Nichtarier. „Der Angeklagte ist schuldig, die Wohnung zu übergeben“, schrieb das Gericht. Marie Spielmann, die Tochter von Rudolf Spielmann protestierte: Ihr Vater sei Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen und leide an den Kriegsverletzungen. Es nutzte nichts. Siegmund Feldmar, Schuhmachermeister, Erwin Adler, Kaufmann. Die Geschäftsfrau Margarethe Gorbulsky schickte ihre Einwände an die Behörde: Ihr Mann erblindete nach dem Kriegsdienst und Flecktyphus vollständig. „Ich selbst bin derzeit im achten Monat schwanger. Wir haben die Ausreise vorbereitet“. Das Kündigungsschreiben an David Klein aus der Gomperzgasse 1-7, Stiege 2, Tür 5 konnte nicht zugestellt werden, da er sich in Dachau befindet. Auch der Ledergalanteriearbeiter Karl Freud und sein Vater endeten nach der Delogierung in Dachau.